DAS NEUE BUCH VON KLAUS THEWELEIT
Sport als
Realitätsmodell
TEXT:
MARION
BUK-KLUGER
BILD: PHOTOCASE.DE
Zwischen den
Auftritten von Dauer-Formel-Eins-Sieger Michael Schuhmacher, weitaus weniger beachteten Tennis-Turnieren, einer Tour de France mit deutschem
Überraschungs-Zweitem und dem kläglichen Scheitern der deutschen
Fußball-National-Mannschaft in Portugal, stehen wir kurz vor dem Ende der
Olympischen Spiele in Athen mit ihren täglich wiederkehrenden Hoffnungen auf
Medaillen. Nichts ist hundertprozentig kalkulierbar und so gewannen andere Gold, die nun zumindest mit ihren
Sportarten und Leistungen von all den Sofasportlern registriert werden.
Wieder andere taten sich schwer, holten letztendlich aber immerhin Bronze
und einige gewannen keine Medaillen, aber waren immerhin
für unser Land
mit dabei.
Die WM 2006 ist wieder in greifbare Nähe gerückt,
ein Bundestrainer gefunden und
–
welch ein Glück
–
eine Qualifizierung nicht
nötig, wir sind schließlich Gastgeberland.
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AUSGABE 39
"UND JETZT
–
DER SPORT"
STARTSEITE
EDITORIAL VON BJÖRN
BRÜCKERHOFF
ÖFFENTLICH-RECHTLICHE ATHLETEN
FUSSBALL IST NICHT NUR
FÜR BLÖDIANE
SCHUTZ DER
OLYMPISCHEN RINGE
FÜNF FRAGEN/ZEHN
ANTWORTEN
WAS IST SPORT?
HELMUT HALLER: EIN LEBEN AM
BALL
MODERNE GLADIATOREN
NUR GOLD
GOLD-HEIDI
SCHLUCHTEN UND GRÄBEN ZUM TROTZ
SPORT ALS REALITÄTSMODELL
REITEN AUF DER WELLE
ALLE AUSGABEN IM ARCHIV
DAS REGISTER
ÜBER DIE GEGENWART
IMPRESSUM
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tatsächlich gesellschaftliches,
politisches oder wirtschaftliches Geschehen in unserem Land widerspiegelt,
behandelt Klaus Theweleit in seinem Buch „Tor zur Welt –
Fußball
als Realitätsmodell“. Theweleit stellt sich
dort Fragen wie
„Wo ist der Zusammenhang zwischen 50% Wahlbeteiligung
und 100% Fußballgequassel?
Für ihn gibt es zwei halbe Antworten: Fußball
ist Teil der Popkultur, Wörtergenerator Nummer eins und
begleitet den Wegfall von Utopien. Er
beschreibt eine
Annahme seiner Frau, die durch den „Untergang der alten
Ostblockgesellschaften vielen Menschen ein geistiges Betätigungsfeld oder
auch theoretisches Spielfeld genommen,“ sieht, "das durch eine ungeheure
Menge öffentlichen Fußballs ersetzt wird.“
Wahrlich stellte ich mir während der Europameisterschaft in Portugal die
Frage: Sehe ich nicht im Spiel der Deutschen, was seit Jahren passiert
in Deutschland? Es geht um Fun und um das große Geld, aber bitte nur, wenn nicht über
die Maßen dafür „geackert werden muss“. Mehr als nachvollziehbar, dass ein
Arbeiter wie Rudi Völler letztendlich scheitern musste. Und Kahn, der früher
ohne Frage die „deutschen Mentalitäten“, des Leistungs-Forderns, des
Kämpfens und Gewinnenmüssens symbolisierte, heute vielmehr beschäftigt seine
privaten Zweikämpfe zu ordnen, kann nicht dauerhaft das Spiel in einen Sieg
führen. Der Titan ist auch nur ein Mensch und Fußball eine
Mannschaftssportart.
Der Zwang zum Gewinnenmüssen schlägt bei der heutigen Spielergeneration ins
Kontraproduktive, mutmaßt Theweleit, der Parallelen in deutscher Kriegs- und
Fußballgeschichte zieht. „Der Krieg wird durch überlegene Kampfkraft des
deutschen Soldaten entschieden, der mit seiner kämpferischen Einstellung und
Moral die materielle Überlegenheit der Gegner…wettmachen sollte…“ so der
Kern deutscher Propaganda in zwei Weltkriegen.
Im Fußball ist es schon lange nicht mehr die Überlegenheit der „Gegner“. Die Portugiesen und Griechen machten es vor, es ist der
Nationalstolz, der schwer in Deutschland Fuß fasst
ohne Ängste auszulösen. Nicht mehr
Prämiengelder und Sponsorenverträge allein vermögen also einen Spieler zu
motivieren, sich für sein Land zu „plagen“. Viel zu sehr sind die Zwänge der
Vereinsbosse, die die Konzentration der Spieler auf die Ligen im Land und
die großen gewinnträchtigen Turniere gerichtet sehen wollen. Keine rein
deutsche Strömung: Italien, Frankreich oder England
haben diese Verschiebung der
Wichtigkeit gleichermaßen und es wundert nicht, dass auch sie in Portugal
die Endrunde verfehlten. Der „Krieg“ um die Trophäe findet dort und hier in
den Zeitungen und an den Stammtischen statt. Die Helden wie Beckham, Zidane,
Kahn und Co. sie verloren an Ruhm, zu dem sie sicher durch ihr spielerisches
Talent kamen, aber dessen Beständigkeit auch medial auf hohem Niveau und
durch geschickte Werbevermarktung aufrecht erhalten blieb und bleibt.
Die Helden von Olympia stehen noch vor ihrer Herausforderung,
für die besseren Schlagzeilen nicht nur für Medaillen, sondern bitte
schön auch für Rekorde zu sorgen. Denn längst ist es nicht der Sieg allein,
sondern die Art und Weise, wie er errungen wurde. Beides
auch in Variation: Jan Ullrichs Platz bei der
Tour de France war zwar hart erkämpft
– aber
eben nur der vierte.
Und auch seine Teilnahme bei Olympia stand zumindest für die Medien schon
vorher unter keinem guten Stern, so schrieb die Berliner Morgenpost am 7.
August 2004: „Die Generalprobe für das olympische Straßenrennen in einer
Woche in Athen ging für Jan Ullrich gründlich daneben.“ Zur Erklärung: der
Rad-Renn-Profi hatte einen Defekt am Rad, „war allerdings schon vorher aus
einer Spitzengruppe zurückgefallen. Auch sein Team-Kollege Andreas Klöden,
der bei der Tour de France hinter Lance Armstrong (USA) Zweiter geworden
war, spielte keine Rolle.“ Das tat dieser während der Tour medial ebenso
wenig, um so überraschender seine Platzierung für die Journalisten.
Weitaus weniger beachtete Sportler
erarbeiten sich
–
vielleicht weil unter geringerem Druck stehend
– mittlerweile oft die
besseren Plätze. Deutlich wird dies auch in der Erfolgen der
Frauen-Fußball-Nationalmannschaft und ihrem Weltmeistertitel. „Wäre der
Frauenfußball ein Gradmesser für politische oder wirtschaftliche
Entwicklungen, Deutschland wäre das Aufschwungland, wie es sich die
Politiker in ihren Tagträumen wünschen…“ vermutet Klaus Theweleit und fährt
fort: „um eine verlässliche Parallelwelt zum politischen darzustellen, fehlt
dem Frauenfußball aber (noch) die Aufmerksamkeitsmasse.“
Auch eine Parallelität zwischen Angela Merkel und
Frauen-Fußball-Bundestrainerin Tina Theune-Meyer kann er nicht entdecken.
Allerdings trotz der von Norbert Seitz festgestellten Parallelität im
Regierungsstil deutscher Bundeskanzler und deutscher Fußball-Bundestrainer,
zu sehen in den Zwillingspaarungen à la Adenauer („der Alte“)/Herberger
(„der Chef“), Brandt/Schön (die Liberaleren), dem frühen Kohl/Jupp Derwall,
dem
Wiedervereinigungssieger Kohl und unserem Kaiser Franz, der just zur Einheit
1990 den WM-Titel errang, bis
schließlich zum späten Kohl und seinem
Fußball-Pendant, dem „ewig beleidigten“ Berti Vogts.
Heute sind für Theweleit die Paarungen
Ribbeck/Schröder (obwohl beide „Armani-Blender“) und erst recht
Schröder/Völler nicht mehr so einfach.
Theweleit zeichnet ein interessantes Bild von vergleichbaren Strukturen in
Sport und Gesellschaft, sowie in Politik. Mir stellte
sich nach der Lektüre seines Buches
allerdings die Frage, ob wir nicht Gefahr
laufen, zu viel in den Sport zu interpretieren.
Immerhin wird vor und nach dem Spiel stundenlang interpretiert, analysiert
und kommentiert. |