ENTTÄUSCHTE ERWARTUNGEN IM SPORT
Nur Gold
TEXT:
MANUELA
RÜTHER
BILD: PHOTOCASE.DE
Der 17. August sollte ein ganz besonderer Tag sein.
Ein Tag, an dem nicht nur eingefleischte Schwimmsportfans
vor den Bildschirmen hocken. Denn mit
Franziska van Almsick läuft an diesem 17. August ein Star ins Olympic
Aquatic Centre in Athen ein. Mit Trainingsanzug und Turnschuhen verkörpert
van Almsick in diesem Moment nichts vom Glamour der Medienwelt, hat wenig
von der hübschen Sportlerin, die man kennt – aus Werbespots,
Titelgeschichten und Talkshows. Jetzt geht es nur noch um vier Bahnen
„Kraul“, wie der Laie sagen würde. 152 Armzüge, wie die Experten
ausgerechnet haben. Um 200 Meter Freistil – die Distanz, auf der Franzi ihre
Karriere mit einer Goldmedaille beenden möchte.
Dabei ist Deutschland gerne skeptisch. Bisher waren die Schlagzeilen alles andere
als positiv. Die Schwimmer seien nicht gut drauf, heißt es. Schon bevor es
losgeht, wird spekuliert, woran es liegen könnte. Vielleicht am Wind. Oder
am harten Training. Schlechte Nachrichten verkaufen sich
besser.
Ob Franziska van Almsick in diesem Moment an die 8.000
Stunden Training der letzten vier Jahre denkt? Nur noch eine Minute bis zum
Start. Jetzt könnte der Kommentator die Höhepunkte ihrer Karriere aufzählen.
Die vier olympischen Medaillen, die die Sportlerin 1992 in Barcelona zum
Star machten. Die Medaillen, die aus ihr den ersten gesamtdeutschen
Superstar nach der Wende werden ließen. Damals waren alle von der kessen
Berliner Göre begeistert. Ein TV-Auftritt jagte den nächsten, die Medien
machten sie zur „Schwimmerin der Herzen.“ „Mich hat niemand gefragt, ob ich
berühmt werden will, es ist einfach passiert", sagte sie in der
Arte-Portrait-Reihe "Mein Leben".
Wachsender Druck für die Athletin
Passiert sind ihr auch die Schattenseiten des Berühmtwerdens. Einfach so.
Ohne, dass die Berlinerin jemand gefragt hätte. „Trauriges Silber“ hieß es
in den Zeitungen, als sie bei den Olympischen Spielen in Atlanta 1996 „nur“
Zweite wurde. Irgendwann geriet der Sport in den
Hintergrund. Die Klatschspalten kümmerten sich mehr um ihre
Figur und die Beziehung zu Handballer Stefan Kretzschmar.
Ausnahme natürlich: Franzi hatte die hohen Erwartungen wieder nicht erfüllt.
hatte nicht gesiegt.
Der Druck auf die Schwimmerin wuchs.
Im Jahr 2000 in Sydney waren es genau die 200
Meter Freistil, die van Almsick zum Verhängnis werden sollten. Aus im
Halbfinale. Für eine Schwimmerin, der man gerne die Favoriten-Rolle
zuschiebt, eine undenkbare Sache. Als „Olympia-Debakel“ wurde dieser zweite Platz
festgehalten, denn nur das Gold zählt.
Olympiagold mit Weltrekord – das war das Ziel für Athen
Heute hat die Trägerin zahlreicher Titel (zwei Mal Weltmeisterin, 18
Europameistertitel und 31 Deutsche Meisterschaften) scheinbar gelernt, mit
der Favoritenrolle umzugehen: „Mein Leben hängt davon nicht mehr ab, wie es
vielleicht einmal schien. Athen ist hoffentlich eine wichtige Zeit für mich.
Aber, verdammt noch Mal, ich sterbe nicht, wenn ich da nicht für Deutschland
einen Olympiasieg hole. Die Zeiten sind eigentlich vorbei“, äußerte sich die
26-Jährige im Vorfeld gegenüber der Presse.
Und doch wollte sie es noch einmal wissen: eine Goldmedaille in Athen war
das erklärte Ziel. Ein Ehrgeiziges in jedem Fall. „Olympiagold mit
Weltrekord im letzten Rennen der Karriere, ein höheres Ziel kann sich kein
Athlet setzen“, schrieb die Süddeutsche Zeitung im Juni dieses Jahres.
Auf den Spuren von Mark Spitz – US-Star Michael Phelps
Vielleicht
doch. Michael Phelps hatte es ebenfalls auf das goldene Edelmetall
abgesehen. Allerdings gleich sieben Mal. Schon im Vorfeld hatte man ihn als
Superstar der Wettkämpfe angekündigt. Für zusätzliche Furore sorgte sein
Sponsor. Der lockte den Teenager aus Baltimore mit einer Bonusprämie in Höhe
von einer Million Dollar. Voraussetzung: der 19-Jährige sollte in Athen
sieben Goldmedaillen für die USA holen und damit den historischen Rekord von
Mark Spitz einstellen. Letzterer schaffte es 1972 in München sieben Mal ganz
nach oben aufs Siegertreppchen. Die heute 54-jährige Schwimm-Ikone aus
Kalifornien zu überbieten, hat bisher noch niemand geschafft. Auch Michael
Phelps nicht.
Dabei schien seine „Mission Gold“ für den Weltrekordhalter über beide
Lagenstrecken und über 200 Meter Schmetterling zunächst als alles andere als
eine „Mission Impossible“. Bei den Weltmeisterschaften in Barcelona sorgte
der 1,95-Mann im vergangenen Jahr mit fünf Medaillen und einer gleichen
Anzahl von Weltrekorden für Schlagzeilen. In Athen reichte es für
sechs Goldmedaillen. Ein Riesen-Erfolg, ohne Zweifel. Hatte man die
sieben Goldmedaillen wirklich von ihm erwartet?
Neue Helden auch bei der Fußball-EM
Im Vorfeld Sportler als Stars zu feiern,
wurde auch vor der EM in Portugal fleißig praktiziert. Die vorher in Werbung
und Berichterstattung gepuschten Beckhams und Figos bekamen jedoch schnell
Konkurrenz – vom „Wunderjungen“ „King Wayne“ Rooney, der mit seinen 18
Jahren in den England-Spielen für Furore sorgte.
Oder von dem Youngster
Christiano Ronaldo (19), laut SZ der „Dribbler mit dem Sexappeal und dem
tollen Namen“. Junge Stars lassen sich gut vermarkten. Egal, ob als
dribbelnder portugiesischer Schönling, als markante englische „Tormaschine“
oder als potentieller Nachfolger eines unvergessenen Olympioniken wie Mark
Spitz.
18.43 Uhr – der Sprung ins Wasser
So war es auch 1992 bei Franziska van
Almsick. Der Triumphzug einer 14-Jährigen war damals eine Überraschung und
vielleicht das Beste, was den Medien in die Hände fallen konnte. Zwölf Jahre
lang hat man sich mit Franzi auseinandergesetzt, ihre Höhen und Tiefen
kommentiert.
Das alles soll nun ein Ende haben. In etwas weniger als zwei Minuten. Nach
diesem Rennen über 200 Meter Freistil. Jetzt ist Franzi im Bild, rückt noch
einmal ihre Taucherbrille zurecht. Dann die Totale auf das Schwimmbecken.
18.43 Uhr, der lange Pfiff ertönt, auf den alle
gewartet haben. Die nächsten zwei Minuten sind spannend.
Nach 50 Metern zieht Franzi als Erste auf die zweite Bahn.
„Vergiss die Schmerzen, Franziska“, ruft der Kommentator. Aber auf der letzten Bahn zeichnet
sich ab, was morgen in den Zeitungen stehen wird. Franzi lässt nach.
"Nur" Platz
Fünf. |
AUSGABE 39
"UND JETZT
–
DER SPORT"
STARTSEITE
EDITORIAL VON BJÖRN
BRÜCKERHOFF
ÖFFENTLICH-RECHTLICHE ATHLETEN
FUSSBALL IST NICHT NUR
FÜR BLÖDIANE
SCHUTZ DER
OLYMPISCHEN RINGE
FÜNF FRAGEN/ZEHN
ANTWORTEN
WAS IST SPORT?
HELMUT HALLER: EIN LEBEN AM
BALL
MODERNE GLADIATOREN
NUR GOLD
GOLD-HEIDI
SCHLUCHTEN UND GRÄBEN ZUM TROTZ
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