Popjournalismus
–
Woher kommst Du, wohin gehst Du?
Text:
Sebastian Hinz
Bild:
Photocase.de
Gerade sollte das Kapitel Popjournalismus geschlossen werden. Die
"Berliner
Seiten" der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sind längst eingestellt, das
jetzt-Magazin der "Süddeutschen Zeitung" kann sich nur noch ein Nischen-Dasein
im Internet leisten und Tom Kummer, wer war eigentlich Tom Kummer? Doch dann
verlegt ausgerechnet der Springer-Verlag in diesen Tagen eine neue
Zeitschrift, in der wir Autoren wieder finden, die in den ausgehenden 90er
Jahren ihre Selbstbefindlichkeiten in einer übermäßigen Zahl von Texten
zwischen Literatur und Journalismus ausstellten. "Der Freund", herausgegeben
von Christian Kracht, redaktionell verantwortet von Eckhart Nickel und auch
ein Kommentar von Benjamin von Stuckrad-Barre darin, ist für schlappe
zehn
Euro am Bahnhofskiosk erhältlich. Pop, das bleibt deutlich, steht also
irgendwie in einem Zusammenhang mit Markt und Hedonismus.
Doch darüber hinaus wird es schwierig eine Definition zu finden. Was ist
Pop? Oder muss man fragen: Was war Pop? „Der Pop ist heute ein toter Fisch,
den niemand mehr essen will, weil er neben das Fass gefallen ist“,
konstatierte Thomas E. Schmidt bereits vor zwei Jahren in der Zeit. Und
tatsächlich hat Pop seine Bestimmung verloren. Pop kann heutzutage alles
meinen und bedeutet damit genau gar nichts. Das war nicht immer so.
In den 1950er Jahren, als sich mit dem Rock’n’Roll erstmals eine
Jugendkultur abseits einer von Eltern und Obrigkeit proklamierten Hochkultur
bildete und „Pop“ noch abschätzig „Subkultur“ genannt wurde, waren Dissidenz,
Abgrenzung und Widerstand sein einziger Antrieb. Das blieb auch in den
1960er Jahren noch so, an deren Ende die Linke es schaffte, den Begriff
„Subkultur“ positiv zu besetzen und Künstler wie Andy Warhol den Terminus
„Pop“ (engl. Knallen) gesellschaftsfähig etablierten, doch auch bereits
deutlich machten, wie laut das Knallen am Ohr der Marktwirtschaft
widerhallt. Spätestens mit der Punk-Bewegung Ende der 1970er Jahre war Pop
als Gegenkultur nicht mehr zu gebrauchen. Die Sperrmüll-Ästhetik der Punks
wurde bald als Designerware gehandelt, Pop als Widerstand hatte sich
verkauft. Der Kampf gegen den gesellschaftlichen Konsens war in der
Abgrenzung durch Konsum nicht vorgesehen. „Subkulturelle Abweichung wird von
Schulen, Gerichten und Medien gleichzeitig erklärt und bedeutungslos
gemacht, während im selben Moment die geheimen Objekte der Subkulturstile in
allen Plattenläden der Einkaufsstraßen und allen Ladenketten in die
Schaufenster gestellt werden“, schrieb der englische Kulturwissenschaftler
Dick Hebdige 1979 in seinem Buch „Subculture. The Meaning Of Style“. „Von
seinen ungesunden Konnotationen befreit, wird der Stil reif für den
öffentlichen Konsum.“
Dennoch sollte sich erst zu diesem Zeitpunkt eine Wende im deutschen
Journalismus andeuten. Insbesondere das Lifestyle-Magazin "Tempo" und das
Musikmagazin Sounds standen stellvertretend für diesen neuen Stil. Seither
besagte der Konsens im deutschen Blätterwald – und bisweilen ist er auch
heute noch in vielen Redaktionen verankert –, dass Literatur und
Journalismus, Meinung und Information, Fiktion und Faktizität sich
voneinander abzugrenzen haben. Als die Tempo-Redaktion zu Beginn der 1980er
Jahre einen neuen Journalismus propagierte, galt es, „diesem überkommenen
und verlogenen Objektivitätsjournalismus eine ehrliche Form von
Subjektivität“ entgegenzusetzen, wie es der ehemalige Tempo-Chef Markus Peichl in der Zeit formulierte. Ziel war die Etablierung einer Art
Journalismus mit literarischem Antlitz, der sich um eine Annäherung zweier
Bereiche bemühte, die als prinzipiell verschieden und deshalb unvereinbar
galten. Es waren amerikanische Publizisten wie Tom Wolfe, Lester Bangs oder
Jimmy Breslin, die den Autoren in Deutschland als Vorbild dienten. Diese
Vertreter des „New Journalism“ traten zu Beginn der 1960er Jahre mit einer
Konzeption auf, die den literarischen Journalismus erstmals zum Programm
erhob. Die traditionellen Regeln und Hierarchien von Journalismus und
Literatur wurden aufgebrochen, indem sie akribisch recherchierten
Journalismus mit literarischen und filmischen Darstellungstechniken
verbanden und damit das Spannungsfeld zwischen Objektivität und
Subjektivität zur Diskussion stellten. Das Spiel mit Neologismen und
Lautmalereien, der Abdruck ganzer Dialoge, die Betonung feinsinniger
Assoziation anstelle eines analytischen Vorgehens, waren exemplarisch. Es
entstand, wie Rainald Goetz schrieb, eine "überdrehte egomane totalitäre
manichäisch mutige Sprechweise, in der die Wahrheit über die Welt nicht als
fitzelige knittelige Detailexegese, sondern als freches Urteil in einer
Adjektivkette oder einem halben Nebensatz auszusprechen war."
Das überraschende an dieser neuen Sprache im Journalismus war: sie hatte
Kalkül. Dahinter verbarg sich, zumindest bei den Autoren der Sounds, eine
zentrale Idee. Durch den Verlust der vor 1979 verbreiteten Vorstellung von
Popkultur als Ort des natürlichen Ausdrucks von Protest entstand eine Lücke,
die Platz machte für neue Ideen. Fortan galt, wie Diedrich Diederichsen,
ehemaliger Redakteur der Sounds und Vordenker der deutschen
Popkulturtheorie, formulierte: „Nicht der Verblendungszusammenhang der Pop-
und Massenkultur ist zu kritisieren, vielmehr ist ihr Angebot an
Künstlichkeiten und Fiktionen der Ideologie des Natürlichen, bei der sich
Hippies und Grüne und Nazis mit älteren Mitbürgern treffen, vorzuziehen.“
Hintergrund war also eine andere Art der Demarkation, die Markierung einer
ideologischen Position, die eine radikale Abgrenzung gegenüber den vormals
vorhandenen linken und liberalen Strömungen wie Sozialdemokratie,
Ökologie-Bewegung oder Alternativ-Kultur darstellte und dennoch an der
marxistischen Kritik der kapitalistischen Gesellschaft festhielt. "Der Feind
steht links, man selber steht noch weiter links“, so Diederichsen. Die
Produkte und Künstler der Popkultur wurden fortan als quasi-politisches
Statement verstanden und somit der Eindruck erweckt, dass die politisch
codierten Vorstöße im Feld des Pop-Diskurses elaboriert
gesellschaftskritische und ökonomische Argumentationen überflüssig machen
könnten. Eine Vorgehensweise, die sich Anfang der 1990er Jahre mit den
Brandanschlägen in Hoyerswerda und Rostock erschöpfte.
In den nachfolgenden Jahren bis zum heutigen Tag verlor der Popjournalismus
seine Ziele und damit seine Bedeutung. Das eine Bewusstsein, sich im Pop zu
einer Öffentlichkeit zu verhalten, ist dem falschen Bewusstsein gewichen,
sich im Schreiben zu seinem eigenen Nabel, der eigenen Plattensammlung, der
eigenen Erlebniswelt zu gebären. Das Gros der Autoren der Berliner Seiten
oder Der Freund haben darin unter dem Banner ‚Pop’ ihre Auszeichnung und
gleichfalls öffentliche Anerkennung gefunden. Das liegt daran, dass Pop,
auch als bloßes Präfix, heute gerne und fälschlicherweise mit dem Modell
Jugend oder als eine Legitimation für das Ausstellen von Dummheit
verwechselt wird. Dabei ist das genaue Gegenteil der Fall. In den
Feuilletons herrscht noch immer das Vorurteil, dass man bei Pop nichts
wissen müsse, dass Pop primitiv und intellektuell unansprechend sei. „Heute
haben sich nur die Vorzeichen geändert“, sagt Dietmar Dath, Redakteur der
Frankfurter Allgemeinen Zeitung. „Früher herrschte die Meinung: Pop sei
etwas für Dumme und deswegen schlecht. Heute heißt es: Dieter Bohlen ist
etwas für Dumme, also ist es gut.“ Man betont also das Primitive zur
Abschaffung der störenden Intellektualität, der störenden Reflexion, des
störenden Politischen in den Feuilletons. Der Begriff ‚Pop’ muss herhalten
zur Erklärung der unguten Entwicklung des Feuilletons. Dabei wird völlig
ausgeblendet, dass Pop eben nicht primitiv und intellektuell unansprechend
ist, sondern eines sehr komplexen Wissens bedarf, eben nur keines
kanonisierten oder lexikalisierten. Im Herausstellen dieser Bedeutungsebene
von Pop wird seine Zukunft liegen, auch und gerade im Journalismus. |
AUSGABE 40
NEUER JOURNALISMUS?
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EDITORIAL VON BJÖRN
BRÜCKERHOFF
INTERVIEW MIT WOLFGANG DONSBACH
OPEN SOURCING YOURSELF
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ZWISCHEN EUPHORIE UND IGNORANZ
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