In der musikalischen Grauzone
Text:
Stefan Nicola, Washington
Bild:
Photocase.de
Nicholas Reville
hat der Musikindustrie den Kampf angesagt. Zusammen mit Holmes Wilson, einem
Kumpel aus College-Tagen, gründete der 25-Jährige vor 18 Monaten die
Musikaktivisten-Gruppe Downhill Battle.
Die Gruppe hat sich inzwischen zu einem lautstarken Sprachrohr in der
US-Musikszene entwickelt. Downhill Battle protestiert gegen die
Monopolstellung der vier großen Labels und macht sich für unabhängige
Musikkünstler und Filesharing stark. „Es ist fast unmöglich für unbekannte
Musiker in den zu Markt kommen, oder im Radio gespielt zu werden“, sagt
Reville. „Dieses Musikmonopol ist nicht nur unfair, es ist auch kulturell
kontraproduktiv.“
Vor der Gründung von Downhill Battle arbeitete Reville bei einer politischen
Beratungsfirma in Brooklyn – inzwischen hat er einen Raum seines Hauses in
Worcester, Massachusetts, zum Aktivistenbüro
umfunktioniert. „Wir haben mit einer
Webseite
und null Kapital begonnen“, erinnert sich Reville. Heute beschäftigt
Downhill Battle vier Vollzeitangestellte und drei weitere
Teilzeitmitarbeiter. Und die kämpfen nicht nur für die Rechte von Bands ohne
Plattenvertrag, sondern auch für freie Verteilung von Musik im Internet.
„Filesharing“ ist das Zauberwort. Das Internet würde in den Visionen von
Downhill Battle die großen Musiklabels ins Zeitalter der Schellackplatten
schicken.
Reville denkt an ein unabhängiges Filesharing-System: „Man bezahlt als Hörer
einen Pauschalbetrag und kann dann soviel Musik herunterladen,
wie man will.“ Ein Quotensystem auf Downloadzahlen basierend soll berechnen,
wie viel Geld ein Musiker erhalten soll. „Man könnte sämtliche
mitverdienenden Mittelmänner ausschalten. Hörer würden sich viel eher neue,
noch unbekannte Musik anhören. Der Musikmarkt würde demokratisiert werden.“
Doch Downhill Battle beschränkt sich nicht nur auf die Verbreitung neuer
Musikideologien. Den größten Erfolg verbuchten die Aktivisten mit Hilfe der
Beatles, Jay-Z und einem bis dato unbekannten DJ aus Los Angeles.
Hip-Hop-Künstler
DJ
Danger Mouse legte die Raps von
Jay-Zs „Black Album“ über gemischte Beats des berühmten „White Albums“ der
Beatles und veröffentlichte das Ergebnis in einer limitierten 3000er Auflage
unter dem Namen „Grey Album“ – ohne vorher rechtliche Genehmigungen
einzuholen.
Als sich das Album in der Szene einen Namen machte, drückte das britische
Beatles-Label
EMI
die Stopptaste – Danger Mouse alias Brian Burton erhielt eine Abmahnung
inklusive Prozessandrohung. Der DJ hatte seine restlichen Kopien
einzustampfen. Webseiten, die das Album kostenfrei zum Download anboten,
erhielten ebenfalls Post von den EMI-Anwälten.
„Dieses Album ist Musikkunst“, protestiert Reville. „EMI sagte nicht nur –
du kannst das Album nicht verkaufen – es hieß auch: das ist Musik die die
Öffentlichkeit nicht hören darf. Das Urheberrecht wurde in eine Waffe
verwandelt, hier wurde Kunst zensiert. Es war klar dass wir handeln würden.“
Downhill Battle organisierte den „Grey
Tuesday“, eine Aktion des „zivilen Ungehorsams“, wie Reville sie
nennt. Am 24. Februar 2004 boten DownhillBattle.org
und 170 weitere Webseiten das Grey Album zum Download an.
“EMI drohte mit Schadensersatzklagen gegen sämtliche Webseiten, die am Grey
Tuesday teilnehmen würden“, erinnert sich Reville. „Die Reaktionen waren
unglaublich – nur zwei Seiten zogen zurück, und noch mehrere wollten
mitmachen. Dieser Mut ist schon bewundernswert, denn EMI konnte 150.000
Dollar Schadensersatz pro verteiltem Album einfordern.“
Die Resonanz zum Grey Tuesday war ähnlich hoch. Über 100.000
Kopien des Albums – mehr als eine Million Songs – wurden am 24. Februar
herunter geladen. Das Grey Album wurde zur ersten
goldenen Schalplatte im Netz.
Mit der Protestaktion befand sich Downhill Battle auch legal in der
Grauzone. „Auf dem Papier handelten Danger Mouse und Downhill Battle
illegal“, erklärte Jonathan Zittrain, ein Rechtsspezialist der
Harvard-Universität gegenüber der New York Times. „Doch die
Urheberrechtsgesetze wurden unter Rahmenbedingungen geschrieben, die jetzt
wohl überholt sind. Das Internet bietet Hobby-Musikern Möglichkeiten, die
gesetzlich noch nicht eindeutig festgelegt sind.“
Für Samplemusik wie DJ Danger Mouses Grey Album wünscht sich Reville ein
Prozedere ähnlich dem der Aufnahme eines Coversongs. „Man kann für einen
realistischen Preis ein Lied covern. Aber die Kosten für Sampler sind
horrend, und viele bekommen meist gar keine Erlaubnis.“
Reville und Kollegen rechneten mit einer Schadensersatzklage gleich am Tag
nach dem Grey Tuesday. Doch ein Jahr später wartet Downhill Battle immer
noch. „Von EMI haben wir nie wieder was gehört“, sagt Reville. |
AUSGABE 42
MUSIK: DIE STENOGRAFIE DES GEFÜHLS
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EDITORIAL VON BJÖRN
BRÜCKERHOFF
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KILLED THE VIDEO STAR?
MUSIC WAS MY FIRST LOVE
FROM SOUTH TO CENTRAL
MUSIK FÜR WIEDERVERKÄUFER
DIE WICHTIGEN 80ER: RICK ASTLEY UND
CO.
IN DER MUSIKALISCHEN GRAUZONE
RETTUNGSANKER DER
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