Deutsche Beats + russische Sänger
= Erfolg
Text:
Marion Buk-Kluger
Bild:
Photocase.de
Ein junger
deutscher Produzent spricht zwar kein Russisch, ist aber trotzdem auf dem
deutschen Markt für russische Musik erfolgreich. Wie das geht, verrät er im
Gespräch mit Marion Buk-Kluger.
In Augsburg wird R&B und Hip-Hop in russischer
Sprache produziert. Russische Musik ist ein Erfolg versprechender Markt,
denn die Mehrzahl der Spätaussiedler seit 1991 stammt fast überwiegend aus
der ehemaligen Sowjetunion. Und weil diese Zielgruppe in
ihren Clubs gerne heimische Klänge vernehmen will, kombiniert der Augsburger
Produzent Tobias Koller geschickt seine Sounds mit russischen Texten und
lässt sie von Russen singen.
Eigentlich erstaunlich, dass dieser Markt noch nicht von großen
Plattenfirmen entdeckt worden ist, wundert sich der Augsburger Musikproduzent:
„R&B und Hip-Hop in Englisch läuft in Russland gut und da hat niemand die
Notwendigkeit gesehen, auf Russisch zu produzieren. Außerdem ist in Russland
selbst noch die Techno- und Dancefloor-Szene angesagt, Scooter zum Beispiel
feiert große Erfolge.“ |
AUSGABE 42
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Trotzdem sei die
eigene Sprache ein Garant für volle Tanzflächen, weiß der 25jährige Koller,
der derzeit zusammen mit einem Partner an seinem neu gegründeten Label
arbeitet.
Die Gegenwart: Herr Koller, wie kamen Sie auf die Idee, russische R&B-Sänger
und russische Rapper zu produzieren?
Tobias
Koller: Ich traf 2003 einen ehemaligen Schul-freund, den Chefredakteur von
Neon, einer russischen Jugendkultur- und Musik-zeitschrift – eine Art
russische „Bravo“. Er war damals verantwortlich für die Europa-produktion.
Wir machten zum Spaß Musik und die Prelistenings
hörte durch Zufall der Chef einer der größten russischen Plattenfirmen. |
ZUR PERSON |
Die Gegenwart: Das
klingt wie ein Märchen.
Koller
(lacht): Na ja, ich sollte dann zwei Probeproduktionen machen und
produzierte mit einer russischen Sängerin in Koblenz. Anfangs allerdings
hauptsächlich die Dancefloor-Schiene.
Die Gegenwart: Also die in Russland gängige Stilrichtung?
Koller: Als
ich jedoch in russischen Clubs hier in Deutschland war, bemerkte ich, dass
der Club erst dann so richtig gerockt wurde, wenn amerikanische
Black-Produktionen liefen. Ich habe dann beim nächsten Treffen mit der
Sängerin vorgeschlagen, R&B zu produzieren.
Die Gegenwart: Sie haben aber von Anfang an auf russische Texte gesetzt?
Koller: Ja,
doch da wurde es kompliziert. Ich versteh ja kein Wort Russisch.
Die Gegenwart: Wie lief das konkret ab?
Koller: Ich
habe einfach einen Beat vorgelegt und ließ die Sängerin den Text schreiben.
Danach überprüfte ich, ob der Flow zum Beat passt und korrigierte
hier und da.
Die Gegenwart: Das funktioniert?
Koller: Ja,
beim Club-R&B sind die Themen sowieso stets auf der Nasty-Girl-Schiene, auf
den Alben wird es dann etwas romantischer. Die Harmonie von Musik und Text
muss einfach stimmen.
Die Gegenwart: Wie ging es weiter?
Koller: Das Projekt wurde geplant. Ich wollte es nach deutschen Standards mit
Choreographie und Tänzern durchziehen, da russische Projekte immer etwas
chaotisch ablaufen. Auch die Sängerin sollte professionell ausgebildet
werden, ich dachte an den Leiter der „Europäischen Künstlerakademie“, Patrik
Patient (Anmerkung der Redaktion: Patrik Patient
choreographierte bereits
Sarah Connor oder Melanie Thornton), mit dem ich bei
vielen Projekten zusammen arbeite. Doch die Sängerin erfüllte die
Leistungsanforderungen nicht mehr, wir trennten uns, das kommt vor. Im
Moment casten wir neue Sängerinnen, denn wir wollen nun eine
dreiköpfige Girlgroup installieren. Ein rein russisches R&B-Projekt,
vergleichbar mit „Destiny’s Child“.
Die Gegenwart: Also die Nachfolger von „Tatu“?
Koller
(winkt ab): Nein, das ist eine ganz andere Richtung, das war Pop.
Die Gegenwart: Und was macht der russische Markt?
Koller: Wie
gesagt, derzeit steht nur das R&B-Projekt mit der Girlgroup an, früher habe
ich noch sehr viel Hip-Hop-Beats für deutsche und russische MCs
produziert.
Die Gegenwart: Warum haben Sie das aufgegeben?
Koller: Die
Veränderung im Hip-Hop hat mir nicht gefallen, die deutschen, aber auch die
russischen MCs benutzen ihre Skills (Anmerkung der Redaktion: Hip-Hop-Texte)
mittlerweile fast ausschließlich, um sich zu „dissen“.
Die Gegenwart: Wie bitte?
Koller:
Eigentlich geht es nur noch darum, sich gegenseitig über die Songs
anzumachen, das bedeutet „dissen“.
Die Gegenwart: Also ein musikalisch-verbaler Kampf?
Koller: Ja,
eigentlich am Anfang eine gute Sache, da sich die Jungs verbal
auseinandersetzen konnten, man musste sich also bei Konflikten nicht
prügeln.
Die Gegenwart: Eine besondere Art der Konfliktbewältigung?
Koller:
Irgendwie, das kennt man vom amerikanischen Hip-Hop. Aber es artet immer
mehr aus. Es geht in den Raps nur noch darum „Ich bin der Größte und Du bist
fake.“ Ich finde es gibt andere Themen, die Rhymes zielen nur noch auf die
Battle-Schiene, das langweilt mich.
Die Gegenwart: Was sind Ihre aktuellen Projekte?
Koller: In
erster Linie bin ich derzeit Beatlieferant. Ich produziere derzeit mit der
russischen Sängerin Leya, allerdings singt sie überwiegend in Englisch, aber
auch Deutsch und Russisch. Das ist mehr anspruchsvoller Soul und R&B.
Zusätzlich mache ich mit ihr und Ivory, einem weiteren Projekt von mir, ein
Feature. Ivory ist Halbamerikaner. Der R&B-Sänger und MC war auch schon an
den Turntables bei der Refugee Allstars Tour.
Die Gegenwart: Wann rechnen Sie mit der russischen Girlgroup?
Koller:
Frühestens Ende des Jahres. Aber auf tobeebeats.com wird es schon früher
Prelistenings geben, so im Mai. Das müssen wir derzeit aber noch schützen.
Auf dem Internet-Markt wird leider viel geklaut.
Die Gegenwart: Wie wird dann vertrieben?
Koller: Die
russische Band werden wir rein über das Internet vermarkten, das macht auf
dem russischen Markt keinen Unterschied. Teure CD-Produktionen gehen sowieso
ihren Weg über Tschechien und werden dort in Großauflagen schwarz gepresst,
also warum die CDs erst teuer brennen, die dann sowieso raubkopiert werden.
Da sparen wir uns die Produktionskosten und liefern direkt online. Die DJs
in den russischen Clubs erhalten aber nach wie vor einen Club Release,
(lacht), obwohl die auch kopieren. |