Die Fragmentierung der Gesellschaft schreitet unaufhaltsam voran. Die
Partikularinteressen von einzelnen Gruppen treten an die Stelle des
Gemeinwohls. Die traditionellen Sozialmilieus erodieren und den etablierten
Parteien laufen scharenweise die Wähler davon, weil den Problemen mit den
althergebrachten Heilmitteln nicht mehr beizukommen ist. Oben betten
raffgierige Manager den gesellschaftlichen Konsens zur letzten Ruhe,
Abstiegsängste erfassen die breite Mittelschicht und ganz unten richtet sich
das abgehängte Prekariat zwischen Bier und Chips auf dem Sofa ein.
So
diagnostizieren es zumindest Politik und Medien.
Schuld an der
Identitätskrise der bundesdeutschen Gesellschaft ist natürlich der global
agierende Raubtierkapitalismus und die freien Märkte, die zwangsläufig zur
Verarmung großer Teile der Bevölkerung führen und das Vertrauen in die
Demokratie untergraben. Der Untergang naht. Wer oder was also kann uns noch
retten? Hilfe verspricht ausgerechnet der mediale Platzhalter der Ökonomie.
Die Werbung.
Wenn wir über Sozialisation sprechen, dann meinen wir in erster Linie
Mediensozialisation. Wir meinen, dass der Umgang mit Medien maßgeblichen
Einfluss darauf hat, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, wie wir denken,
handeln und kommunizieren. Werbung als Teil des Mediensystems dient den
Konsumenten dabei als
Entscheidungshilfe und Kommunikationsgrundlage
und wird als selbstverständlicher Teil des Alltags akzeptiert.
Die Hauptaufgabe der Werbung besteht darin, folgenreiche Aufmerksamkeit zu
erzielen, also den Konsumenten zum Kauf der beworbenen Produkte zu bewegen.
Daneben kann man ihr aber noch eine zweite, identitätsstiftende Funktion
zuschreiben. Mit den von ihr beworbenen Konsumgütern wirbt sich gleichzeitig
für ein Glücksversprechen. Durch den bloßen Konsum könne der Einzelne
glücklich und zufrieden werden. Er braucht also keine der herkömmlichen
ideologischen Identitätsanker mehr, um zufrieden zu sein. Konsumgüter sind
nicht bloß Waren, sie sind auch identity goods, die den Menschen helfen,
sich eine eigene Identität zu schaffen. Aber im Gegensatz zu anderen
Hilfestellern, wie beispielsweise dem Journalismus, beansprucht Werbung für
sich keine vom Eigeninteresse losgelöste Objektivität. Sie will auch nicht
parteiisch und trotzdem glaubwürdig sein, ein Spagat, wie ihn die
Öffentlichkeitsarbeit versucht. Werbung dealt mit wünschenswerten
Lebensentwürfen und ist dabei absolut parteiisch. Weil das aber allgemein
bekannt ist, ist sie durchweg vertrauenswürdig. Werbung gibt nicht vor etwas
zu sein, was sie nicht ist. Sie umgarnt ihre Adressaten nicht mit
angeblicher Problemlösungskompetenz. Sie sagt: „Kauf mich und dein Wunsch
geht in Erfüllung.“ Mehr nicht. Doch darauf kommt es schließlich an.
Nachdem der Hunger gestillt und der Durst gelöscht ist und man sich im
sicheren Heim der Fortpflanzung gewidmet hat, muss nur noch der Wunsch nach
Zufriedenheit erfüllt werden, um sich entspannt zurücklehnen zu können. Das
sind erfahrungsgemäß die Motive, die das Handeln des Menschen leiten.
Zufriedenheit stellt sich für gewöhnlich aber erst dann ein, wenn man sich
selbst gut findet, sie ist also eng mit der Selbstwahrnehmung verknüpft.
Jede Suche nach einem Spiegel für den prüfenden Blick auf die eigene
Identität ist gleichzeitig auch eine Suche nach Ankern für selbige.
Identitätsbildung bewegt sich immer zwischen Eingrenzung und Ausgrenzung.
Ich erkenne erst was mit gefällt, wenn ich weiß, was mir nicht gefällt. Hier
wird es problematisch. Die Achtundsechziger konnten sich von der Generation
ihrer Väter emanzipieren, die grüne Protestbewegung in den Achtzigern durfte
ihre ideologischen Kämpfe in Brokdorf austragen. Womit aber soll sich die
aufgeklärte Jugend von heute profilieren, da Bio-Supermärkte bereits an
jeder Ecke zu finden sind und der ehemalige Außenminister Joschka Fischer
Auschwitz zum Grundstein der deutschen Demokratie erklärt hat? Wie schwierig
sich die Herausbildung einer eigenen Identität anno 2008 gestaltet, in einer
Zeit in der ein jeder gegen Krieg, für die Menschenrechte, gegen
Umweltzerstörung, für soziale Gerechtigkeit und so weiter ist, verdeutlicht
auch ein Blick auf die Rhetorik der Linkspartei, die 19 Jahre nach dem
Mauerfall einen demokratischen Sozialismus propagiert. Ganz so, als hätte
sich nur noch nicht herumgesprochen, dass die BRD 1989 in dem Arbeiter- und
Bauernparadies aufgegangen ist und nicht umgekehrt. Um ein positives
Selbstbild bemüht, sind die Retrosozialisten dazu verdammt, das Scheitern
des Kapitalismus herbeizureden, um die eigene Vita nicht gänzlich ad
absurdum zu führen. Gleichzeitig müssen sie aber den Sieg des selbigen
herbeisehnen, denn der Genuss teuren Rotweins in Limousinen der Luxusklasse
ist dann doch zu angenehm, als dass man darauf verzichten möchte. Es ist
also nicht so einfach mit der Ein- und Ausgrenzung. Die Frontenlinien
bröckeln. Wenn jede Form des Protests, jeder Gedanke an Veränderung sofort
bejahend aufgegriffen wird, dann ist alles nur noch eine Frage des
Geschmacks. Und an dieser Stelle eilt uns die Werbebranche rettend zur
Hilfe.
Niemand weiß so genau wie die Werbebranche, wie der Zeitgeist gerade tickt,
was angesagt ist oder wieder in der Mottenkiste verschwinden kann. Ihr
vielfältiges Sortiment hält jedem das Passende bereit. Dem Designerpunk die
Lederjacke mit dem Totenkopfemblem aus Glitzernieten und der trendbewussten
Umweltaktivistin den stylischen Norwegerpulli. Für jeden Geschmack ist was
dabei und die Kaufentscheidung fällt leicht, weil einem der eigene Geschmack
immer logisch erscheint. Denn die Zustimmung zu bestimmten Produkten ist
subjektiv und primär affektiver Natur und nicht argumentativ fundiert, was
der Einzelne im Alltag in der Regel aber nicht wahrnimmt. Dies ist auch
nicht notwendig, denn die durch Werbung vermittelte Konsumideologie
entkräftet jeden Manipulationsverdacht, der unterstellen könnte, dass die
Entscheidung für oder gegen ein Produkt von einem Hintergedanken begleitet
würde. Der Konsument kann sich also auf seinen Geschmack verlassen und
unreflektiert konsumieren, ohne sich im Nachhinein argumentativ
rechtfertigen zu müssen und sich auf diese Weise angreifbar zu machen. Dass
gut ist, was gefällt und dass gefällt, was gut ist, trifft auf Werbung also
im doppelten Sinne zu. Mit der Affirmation der werbevermittelten
Konsumideologie geht nämlich gleichzeitig eine Affirmation der
kapitalistischen Warenproduktion samt ihrer Vorteile einher. Historisch hat
sich der Kapitalismus schließlich als Garant für Wachstum, Wohlstand und
Freiheit erwiesen und deshalb ist der unbekümmerte Konsum auch ein
Bekenntnis zum westlichen Lebensstil. Den Berufspessimisten kann also
entgegen gehalten werden, dass sich eine Ökonomisierung des Begehrens
positiv auf das Wohlergehen der Gesellschaft auswirkt. Ähnliches gilt für
den Fortschritt. Eine Innovation erzwingt die nächste und wirkt auf die
Weise fortschrittsfördernd. Der unbekümmerte Griff zum
Vier-Klingen-Vibrationsrasierer ist also keineswegs verwerflich und wer
möchte, kann sich ja weiterhin mit Einwegrasierern die Gesichtshaut
abschälen. Merke: Alles eine Frage des Geschmacks. Des Weiteren sorgen die
Werbetreibenden schon dafür, dass der Mensch nicht aus dem Blickfeld gerät.
Nur so können sie Anschlussfähigkeit garantieren und ihr Ziel erreichen zum
Kauf zu animieren. Daher auch der Vorwurf, die Werbung würde die
althergebrachten Geschlechterunterschiede zementieren.
Zum Ärger der Gender-Forschung ist das Geschlecht als identitätsstiftende Kategorie immer
noch der Kern des eigenen Selbst und somit elementarer Bestandteil jeder
Selbstwahrnehmung. Deshalb ist die Geschlechterdifferenzierung eine
entscheidende Variable menschlicher Identität und daher von großer Bedeutung
für die Werbung, die stets um den Ausgleich zwischen Redundanz und Varietät
bemüht ist. Wäre dem nicht so, dann würde eine Werbestrategie, die darauf
angewiesen ist den Zeitgeist zu treffen, ihre intendierte Wirkung verfehlen.
Tatsächlich ist es aber so, dass das traditionelle Rollenbild in der Werbung
sehr präsent ist, eine solche Strategie es aus Branchenlogik also
gewinnbringend sein muss. Demnach bestimmt die Nachfrage das Angebot und
nicht umgekehrt.
Im Gegensatz zu den Gutmenschen aus Politik und Medien betrachtet die
Werbebranche den Konsumenten längst nicht mehr als schützenswertes Mündel,
das es zu belehren und aufzuklären gilt, weil es nicht selbst weiß, was gut
ist. Dem Konsumenten wird zugetraut, eigenverantwortliche Entscheidungen zu
treffen, sein Leben nach eigenen Wertmaßstäben zu gestalten und deshalb wird ihm eine Vielzahl attraktiver Alternativen anhand gelegt. Der
mündige Konsument darf selbst entscheiden, ob er sich die Lunge blutig
rauchen oder mit einer Flasche Wodka den Bär im Manne wecken will. Oder
beides.
Den Konsumterror, den besorgte Politiker und moralisierende Feuilletonisten
hinter jedem Werbeplakat auszumachen suchen, scheinen die Konsumenten nicht
zu spüren, wie
Untersuchungen der Werbeakzeptanz
zeigen. Demnach empfinden nur acht Prozent der Bevölkerung Werbung als störend.
Otto Normalverbraucher genießt die Vielfalt an günstigen Waren und
Dienstleistungen, die ihm geboten werden. Es sind also eher die
gesellschaftlichen Eliten, denen die Deutungshoheit über die
Begrifflichkeiten im gesellschaftspolitischen Diskurs verloren zu gehen
droht, die eine Entfesselung der Märkte und die Ökonomisierung aller
Lebensbereiche befürchten. In den Warteschlangen vor den Kassen der
Discountmärkte sind Klagen über eine „Geiz ist geil“-Mentalität jedenfalls
nur selten zu vernehmen. |
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