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Presse


 

Ich kaufe, was ich sein möchte

Plädoyer für die Konsumideologie

Text: Daniel Drungels    Bild: Photocase.com/froodmat  

 

Die Fragmentierung der Gesellschaft schreitet unaufhaltsam voran. Die Partikularinteressen von einzelnen Gruppen treten an die Stelle des Gemeinwohls. Die traditionellen Sozialmilieus erodieren und den etablierten Parteien laufen scharenweise die Wähler davon, weil den Problemen mit den althergebrachten Heilmitteln nicht mehr beizukommen ist. Oben betten raffgierige Manager den gesellschaftlichen Konsens zur letzten Ruhe, Abstiegsängste erfassen die breite Mittelschicht und ganz unten richtet sich das abgehängte Prekariat zwischen Bier und Chips auf dem Sofa ein.

So diagnostizieren es zumindest Politik und Medien.

Schuld an der Identitätskrise der bundesdeutschen Gesellschaft ist natürlich der global agierende Raubtierkapitalismus und die freien Märkte, die zwangsläufig zur Verarmung großer Teile der Bevölkerung führen und das Vertrauen in die Demokratie untergraben. Der Untergang naht. Wer oder was also kann uns noch retten? Hilfe verspricht ausgerechnet der mediale Platzhalter der Ökonomie. Die Werbung.

Wenn wir über Sozialisation sprechen, dann meinen wir in erster Linie Mediensozialisation. Wir meinen, dass der Umgang mit Medien maßgeblichen Einfluss darauf hat, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, wie wir denken, handeln und kommunizieren. Werbung als Teil des Mediensystems dient den Konsumenten dabei als
Entscheidungshilfe und Kommunikationsgrundlage und wird als selbstverständlicher Teil des Alltags akzeptiert.

Die Hauptaufgabe der Werbung besteht darin, folgenreiche Aufmerksamkeit zu erzielen, also den Konsumenten zum Kauf der beworbenen Produkte zu bewegen. Daneben kann man ihr aber noch eine zweite, identitätsstiftende Funktion zuschreiben. Mit den von ihr beworbenen Konsumgütern wirbt sich gleichzeitig für ein Glücksversprechen. Durch den bloßen Konsum könne der Einzelne glücklich und zufrieden werden. Er braucht also keine der herkömmlichen ideologischen Identitätsanker mehr, um zufrieden zu sein. Konsumgüter sind nicht bloß Waren, sie sind auch identity goods, die den Menschen helfen, sich eine eigene Identität zu schaffen. Aber im Gegensatz zu anderen Hilfestellern, wie beispielsweise dem Journalismus, beansprucht Werbung für sich keine vom Eigeninteresse losgelöste Objektivität. Sie will auch nicht parteiisch und trotzdem glaubwürdig sein, ein Spagat, wie ihn die Öffentlichkeitsarbeit versucht. Werbung dealt mit wünschenswerten Lebensentwürfen und ist dabei absolut parteiisch. Weil das aber allgemein bekannt ist, ist sie durchweg vertrauenswürdig. Werbung gibt nicht vor etwas zu sein, was sie nicht ist. Sie umgarnt ihre Adressaten nicht mit angeblicher Problemlösungskompetenz. Sie sagt: „Kauf mich und dein Wunsch geht in Erfüllung.“ Mehr nicht. Doch darauf kommt es schließlich an.

Nachdem der Hunger gestillt und der Durst gelöscht ist und man sich im sicheren Heim der Fortpflanzung gewidmet hat, muss nur noch der Wunsch nach Zufriedenheit erfüllt werden, um sich entspannt zurücklehnen zu können. Das sind erfahrungsgemäß die Motive, die das Handeln des Menschen leiten. Zufriedenheit stellt sich für gewöhnlich aber erst dann ein, wenn man sich selbst gut findet, sie ist also eng mit der Selbstwahrnehmung verknüpft. Jede Suche nach einem Spiegel für den prüfenden Blick auf die eigene Identität ist gleichzeitig auch eine Suche nach Ankern für selbige. Identitätsbildung bewegt sich immer zwischen Eingrenzung und Ausgrenzung. Ich erkenne erst was mit gefällt, wenn ich weiß, was mir nicht gefällt. Hier wird es problematisch. Die Achtundsechziger konnten sich von der Generation ihrer Väter emanzipieren, die grüne Protestbewegung in den Achtzigern durfte ihre ideologischen Kämpfe in Brokdorf austragen. Womit aber soll sich die aufgeklärte Jugend von heute profilieren, da Bio-Supermärkte bereits an jeder Ecke zu finden sind und der ehemalige Außenminister Joschka Fischer Auschwitz zum Grundstein der deutschen Demokratie erklärt hat? Wie schwierig sich die Herausbildung einer eigenen Identität anno 2008 gestaltet, in einer Zeit in der ein jeder gegen Krieg, für die Menschenrechte, gegen Umweltzerstörung, für soziale Gerechtigkeit und so weiter ist, verdeutlicht auch ein Blick auf die Rhetorik der Linkspartei, die 19 Jahre nach dem Mauerfall einen demokratischen Sozialismus propagiert. Ganz so, als hätte sich nur noch nicht herumgesprochen, dass die BRD 1989 in dem Arbeiter- und Bauernparadies aufgegangen ist und nicht umgekehrt. Um ein positives Selbstbild bemüht, sind die Retrosozialisten dazu verdammt, das Scheitern des Kapitalismus herbeizureden, um die eigene Vita nicht gänzlich ad absurdum zu führen. Gleichzeitig müssen sie aber den Sieg des selbigen herbeisehnen, denn der Genuss teuren Rotweins in Limousinen der Luxusklasse ist dann doch zu angenehm, als dass man darauf verzichten möchte. Es ist also nicht so einfach mit der Ein- und Ausgrenzung. Die Frontenlinien bröckeln. Wenn jede Form des Protests, jeder Gedanke an Veränderung sofort bejahend aufgegriffen wird, dann ist alles nur noch eine Frage des Geschmacks. Und an dieser Stelle eilt uns die Werbebranche rettend zur Hilfe.

Niemand weiß so genau wie die Werbebranche, wie der Zeitgeist gerade tickt, was angesagt ist oder wieder in der Mottenkiste verschwinden kann. Ihr vielfältiges Sortiment hält jedem das Passende bereit. Dem Designerpunk die Lederjacke mit dem Totenkopfemblem aus Glitzernieten und der trendbewussten Umweltaktivistin den stylischen Norwegerpulli. Für jeden Geschmack ist was dabei und die Kaufentscheidung fällt leicht, weil einem der eigene Geschmack immer logisch erscheint. Denn die Zustimmung zu bestimmten Produkten ist subjektiv und primär affektiver Natur und nicht argumentativ fundiert, was der Einzelne im Alltag in der Regel aber nicht wahrnimmt. Dies ist auch nicht notwendig, denn die durch Werbung vermittelte Konsumideologie entkräftet jeden Manipulationsverdacht, der unterstellen könnte, dass die Entscheidung für oder gegen ein Produkt von einem Hintergedanken begleitet würde. Der Konsument kann sich also auf seinen Geschmack verlassen und unreflektiert konsumieren, ohne sich im Nachhinein argumentativ rechtfertigen zu müssen und sich auf diese Weise angreifbar zu machen. Dass gut ist, was gefällt und dass gefällt, was gut ist, trifft auf Werbung also im doppelten Sinne zu. Mit der Affirmation der werbevermittelten Konsumideologie geht nämlich gleichzeitig eine Affirmation der kapitalistischen Warenproduktion samt ihrer Vorteile einher. Historisch hat sich der Kapitalismus schließlich als Garant für Wachstum, Wohlstand und Freiheit erwiesen und deshalb ist der unbekümmerte Konsum auch ein Bekenntnis zum westlichen Lebensstil. Den Berufspessimisten kann also entgegen gehalten werden, dass sich eine Ökonomisierung des Begehrens positiv auf das Wohlergehen der Gesellschaft auswirkt. Ähnliches gilt für den Fortschritt. Eine Innovation erzwingt die nächste und wirkt auf die Weise fortschrittsfördernd. Der unbekümmerte Griff zum Vier-Klingen-Vibrationsrasierer ist also keineswegs verwerflich und wer möchte, kann sich ja weiterhin mit Einwegrasierern die Gesichtshaut abschälen. Merke: Alles eine Frage des Geschmacks. Des Weiteren sorgen die Werbetreibenden schon dafür, dass der Mensch nicht aus dem Blickfeld gerät. Nur so können sie Anschlussfähigkeit garantieren und ihr Ziel erreichen zum Kauf zu animieren. Daher auch der Vorwurf, die Werbung würde die althergebrachten Geschlechterunterschiede zementieren.

Zum Ärger der Gender-Forschung ist das Geschlecht als identitätsstiftende Kategorie immer noch der Kern des eigenen Selbst und somit elementarer Bestandteil jeder Selbstwahrnehmung. Deshalb ist die Geschlechterdifferenzierung eine entscheidende Variable menschlicher Identität und daher von großer Bedeutung für die Werbung, die stets um den Ausgleich zwischen Redundanz und Varietät bemüht ist. Wäre dem nicht so, dann würde eine Werbestrategie, die darauf angewiesen ist den Zeitgeist zu treffen, ihre intendierte Wirkung verfehlen. Tatsächlich ist es aber so, dass das traditionelle Rollenbild in der Werbung sehr präsent ist, eine solche Strategie es aus Branchenlogik also gewinnbringend sein muss. Demnach bestimmt die Nachfrage das Angebot und nicht umgekehrt.

Im Gegensatz zu den Gutmenschen aus Politik und Medien betrachtet die Werbebranche den Konsumenten längst nicht mehr als schützenswertes Mündel, das es zu belehren und aufzuklären gilt, weil es nicht selbst weiß, was gut ist. Dem Konsumenten wird zugetraut, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen, sein Leben nach eigenen Wertmaßstäben zu gestalten und deshalb wird ihm eine Vielzahl attraktiver Alternativen anhand gelegt. Der mündige Konsument darf selbst entscheiden, ob er sich die Lunge blutig rauchen oder mit einer Flasche Wodka den Bär im Manne wecken will. Oder beides.
 
Den Konsumterror, den besorgte Politiker und moralisierende Feuilletonisten hinter jedem Werbeplakat auszumachen suchen, scheinen die Konsumenten nicht zu spüren, wie
Untersuchungen der Werbeakzeptanz zeigen. Demnach empfinden nur acht Prozent der Bevölkerung Werbung als störend. Otto Normalverbraucher genießt die Vielfalt an günstigen Waren und Dienstleistungen, die ihm geboten werden. Es sind also eher die gesellschaftlichen Eliten, denen die Deutungshoheit über die Begrifflichkeiten im gesellschaftspolitischen Diskurs verloren zu gehen droht, die eine Entfesselung der Märkte und die Ökonomisierung aller Lebensbereiche befürchten. In den Warteschlangen vor den Kassen der Discountmärkte sind Klagen über eine „Geiz ist geil“-Mentalität jedenfalls nur selten zu vernehmen.