Die
Prominenzierungsmaschine
Text:
Daniel Nölleke
Illustration: Peter
Suneson
Prominenz zu
messen war wohl noch nie so einfach wie in der modernen Google-Gesellschaft:
schnell den Namen in das schmucklose Textfeld eingegeben, und nach
Bruchteilen von Sekunden teilt ein nüchterner Wert die Gesellschaft in Sein,
Weniger-Sein und Nicht-Sein. Das mag für Einzelne Anlass zu Frustration
geben, ist gleichzeitig aber ungeheuer aufschlussreich: Dem wenig
erfolgreichen Tennis-Sternchen Anna Kournikova (5.920.000 Treffer) wird
demnach erheblich mehr öffentliche Aufmerksamkeit geschenkt als den weit
erfolgreicheren Spielerinnen Justine Henin (2.340.000) oder Martina Hingis
(1.390.000). Überhaupt bietet sich der Sport mit seinen klaren Rankings dazu
an, einen Vergleich zwischen systemimmanenter Reputation (im Falle des
Sports: sportlicher Erfolg) und medial vermittelter Prominenz zu ziehen.
Dass hier in vielen Fällen keinerlei Synchronität besteht, beweist neben
Anna Kournikova ein zweites Paradebeispiel: Während die fußballerischen
Fähigkeiten eines David Beckham oft mit Argwohn betrachtet werden, bestehen
an seiner Prominenz keinerlei Zweifel – und wenn doch, dürfte die
„Aufmerksamkeits-Waage“ Google diese zerstreuen: Sie verzeichnet 18.600.000
Treffer.
In einer ausdifferenzierten Gesellschaft bieten lediglich die Massenmedien
das Aufmerksamkeitspotenzial, das notwendig ist für die Entstehung von
Prominenz: Sie sind Dreh- und Angelpunkt der Prominenzierungsprozesse; sie
vermitteln die Themen zur öffentlichen Kommunikation und bilden somit die
Voraussetzung für die soziale Zuweisung bzw. den Entzug von Aufmerksamkeit.
Ob eine Person also Prominentenstatus erreicht, hängt entscheidend von ihrer
Medienpräsenz ab.
Die Medien bzw. die hier tätigen Journalisten haben nun ihrerseits Routinen
und Mechanismen entwickelt, wie sie aus der Vielzahl der Personen in ihrer
Umwelt Prominente selektieren. Hier erscheint es zunächst plausibel, dass
sie sich auf die Vorselektion durch die jeweiligen Systeme wie Politik,
Wissenschaft, Wirtschaft oder Sport verlassen. Diese bilden auf der Basis
systemimmanenter Kriterien – etwa Macht im politischen System oder Reichtum
im Wirtschaftssystem – einen kleinen Kreis von Eliten heraus, aus dem die
Journalisten im Rahmen ihrer Berichterstattung schöpfen. Die eingangs
dargestellten Beispiele aus dem Bereich des Sports belegen jedoch, dass die
hierin angelegte Proportionalität nach dem Motto „Je mehr Reputation im
eigenen System, desto größer die öffentliche Aufmerksamkeit“ nicht aufgeht.
So bilden die Medien die Hierarchien anderer gesellschaftlicher Teilsysteme
nicht eins zu eins ab, sondern schaffen anhand ihrer systemspezifischen
Logik eine eigene Medienrealität. Sie orientieren sich demnach nicht
ausschließlich an der Reputation einer Person, sondern ergänzen diese um
weitere Faktoren: Hier können Attraktivität, Außergewöhnlichkeit,
Artikulationsfähigkeit oder auch Überraschungseffekte eine Rolle spielen.
Neben den wahrgenommenen Eigenschaften einer Person wird der
Selektionsprozess zudem durch strukturelle Einflüsse geprägt: so entscheidet
oftmals ganz profan die Erreichbarkeit von Personen über deren
Medienpräsenz.
Wenn jemand nun aufgrund dieser Selektionslogiken Medienpräsenz erlangt,
kommt ein weiterer Faktor ins Spiel, der die Prominenzierungschraube ein
entscheidendes Stückchen weiter dreht: die Selbstreferenz der Medien: Bei
zunehmender Informationsflut und unter wachsendem Kostendruck wird bei
journalistischen Entscheidungen immer stärker die Konkurrenz beachtet. Dies
spart auf der einen Seite ressourcenintensive Recherche und bietet eine
gewisse Sicherheit bei der Auswahl von Themen, da im Zweifelsfall auf die
Konkurrenz verwiesen werden kann. Für den Prozess der Prominenzierung
bedeutet dies: Hat eine Person erst einmal die Aufmerksamkeitsschwelle
überschritten und in der Medienberichterstattung Fuß gefasst, erhöht sich
ihre Chance auf weitere Berichterstattung enorm. Dabei wird der
ursprüngliche Grund für einen Medienauftritt mit der Zeit zweitrangig. Es
entwickelt sich also eine Eigendynamik, die schließlich dazu führt, dass der
Elitenstatus in einem gesellschaftlichen Teilsystem für den
Prominentenstatus fast gänzlich irrelevant wird.
Dieses Phänomen lässt sich anschaulich mit Matthäus erklären, wobei entgegen
der bisherigen Argumentation an dieser Stelle nicht der prominente
Ex-Sportler gemeint ist, sondern der Evangelist. Der formuliert: „Denn wer
da hat, dem wird gegeben werden, dass er Fülle habe; wer aber nicht hat, von
dem wird auch genommen, was er hat.“ Dieser Aphorismus beschreibt den
Mechanismus der Prominenzierung ausgezeichnet: Nach dem Überschreiten einer
bestimmten Aufmerksamkeitsschwelle bedarf es kaum noch zusätzlicher Arbeit,
um diese weiter zu steigern. Georg Franck beschreibt diese Spiralbewegung
anschaulich:
„Der Bekanntheitsgrad einer Person ist sogar noch mehr als ein Schatz. Ab
einem gewissen Grad der Bekanntheit wirft der Schatz von sich aus Einkommen
ab. Wer hinreichend bekannt ist, findet schon allein aufgrund des Grads
seiner Bekanntheit Beachtung. Der Schatz rentiert sich. Er wirft
Zinsen ab in der Form, dass seine Beachtlichkeit selber zum Faktor der
Wertschöpfung wird“ (1998: 114).
Die eingangs erwähnten Star-Sportler stehen beispielhaft für die
verschiedenen Mechanismen in der Prominenzierungsmaschine: Auch wenn deren
Leistungsstärke skeptisch betrachtet werden kann, ist unbestritten, dass sie
im Gegensatz zu Millionen von Hobbysportlern zur Sportelite gehör(t)en. Dies
war eine notwendige Bedingung, um die Aufmerksamkeitsschwelle zu übertreten.
Nun kamen jedoch mit Attraktivität und Stil Komponenten ins Spiel, die zu
einer vergleichsweise starken Beachtung durch die Medien führten. Die hohe
Selbstreferenz der Medien trug nun ihren Teil dazu bei, dass sich die
Popularitätsspirale weiterdrehte. Mit der Zeit wurde der ursprüngliche Grund
für das Übertreten der Aufmerksamkeitsschwelle irrelevant und spielt nun im
Fall Kournikova quasi keine Rolle mehr.
Beleg für die fehlende Kongruenz von Elitenstatus in einem
gesellschaftlichen Teilsystem und medial vermitteltem Prominentenstatus sind
neben den erwähnten Sportlern insbesondere die derzeit in den Medien
omnipräsenten Experten. Auch hier handelt es sich in den wenigsten Fällen um
die Leistungsträger in ihren Bereichen. Überlegenes Expertenwissen ist nur
eines von zahlreichen Kriterien, die bei der Auswahl von Experten durch
Journalisten eine Rolle spielen. Und wie Beispiele aus unterschiedlichen
Ressorts (erneut taugt hier der Sport als Beispiel) belegen, scheint dieses
Expertenwissen nicht einmal ein notwendiges Kriterium zu sein, ein
hinreichendes schon gar nicht.
Beim Expertenstatus verhält es sich ganz ähnlich wie beim Prominentenstatus:
Ist einmal der Schritt ins mediale Forum gelungen, wird alles weitere zum
Selbstläufer. Es entwickelt sich mit der Zeit also eine eigene
Expertenprominenz, bei der schließlich irgendwann völlig undurchsichtig
wird, warum eine Person berufen ist, zu einer bestimmten Frage Auskunft zu
geben. Dies führt schließlich zu der interessanten Situation, dass die
Reputation im eigenen Herkunftssystem gleichermaßen schwindet, wie sie im
System Öffentlichkeit wächst.
Stellt sich abschließend die Frage nach der Bewertung der
Prominenzierungsmechanismen in den Medien: Aus normativer Perspektive wäre
der Vorwurf einer verzerrten Darstellung von Leistungsfähigkeit bzw. einer
fehlerhaften Auswahl von Expertise erwartbar. Andererseits ist es keine neue
Erkenntnis, dass die Medien eine eigene Realität konstruieren und dies nach
Maßgabe systemspezifischer Kriterien tun. Argumentiert man also
systemtheoretisch und enthält sich normativer Urteile, dann kann die
Prominenz von Kournikova und Co. keine große Überraschung sein und dann
erscheint der Prominenzierungsprozess weniger dysfunktional als vielmehr
funktional. |
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Ausgabe
55
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Presse
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Literaturtipps zum Thema
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Konstitution – Issues Monitoring – Issues Management.
Wiesbaden.
Franck, Georg (1998): Ökonomie der Aufmerksamkeit. Ein Entwurf. München,
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Hitzler, Ronald/Stefan Hornbostel/Cornelia Mohr (Hrsg.) (2004): Elitenmacht.
Wiesbaden.
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Kommunikationswissenschaft, 54. Jg., Nr. 2: 191-215.
Peters, Birgit (1994): „Öffentlichkeitselite“ – Bedingungen und Bedeutungen
von Prominenz. In: Neidhardt, Friedhelm (Hrsg.): Öffentlichkeit, öffentliche
Meinung, soziale Bewegungen. Opladen: 191-213.
Reinemann, Carsten/Jana Huismann (2007): Beziehen sich Medien immer mehr auf
Medien? Dimensionen, Belege, Erklärungen. In: Publizistik, 52. Jg., Nr. 4:
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Schierl, Thomas (Hrsg.) (2007): Prominenz in den Medien. Zur Genese und
Verwertung von Prominenten in Sport, Wirtschaft und Kultur. Köln.
Schneider, Ulrich F. (2004): Der Januskopf der Prominenz. Zum ambivalenten
Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit. Wiesbaden. |