„Will it blend?“
Werbung auf Videoplattformen
Text:
Dominik Rudolph
Bild: BlendTec
Ein graumelierter Mann mit dem Charme eines Finanzbeamten bei der
minutenlangen Produktvorführung eines Mixers
–
stellt man sich so einen
Werbestar vor? Was im Fernsehen höchstens in den 50ern als effektive Werbung
durchgegangen wäre und mittlerweile nur noch auf den hintersten Winkeln der
Fernbedienung eine Handvoll Hausfrauen anlockt, wollen auf Youtube Millionen
sehen. Die Werbung hat es sogar in „ The Tonight Show" mit Jay Leno
gebracht, die Herstellerfirma bietet mittlerweile auf einer eigenen Fansite
Mechardising-Artikel an.
Tom Dickson, so der Name des Mixermannes, ist der Gründer des amerikanischen
Hausgeräteherstellers Blendtec. Seine Fans wollen sehen, wie Dickson in
weißem Kittel und mit Schutzbrille in jeder neuen Folge die entscheidende
Frage stellt: „Will it blend?“ (to blend= sich vermischen). Danach wirft er
alle möglichen und unmöglichen Gegenstände in seinen Rührapparat
und häckselt sie klein: Hörgeräte, Leuchtstäbe oder ein
I-Phone von Apple. Alleine der
I-Phone-Spot hat es bisher auf über vier Millionen Clicks gebracht.
Generell scheinen sowohl Machart als auch Produkt zu Youtube zu passen wie
ein I-Phone zu einem Mixer: Warum wirbt ein Hausgerätehersteller für
400-Dollar-Rührer auf einer Videoplattform, die hierzulande immer noch als
reines Jugendphänomen gilt? In den USA hat die Nutzung mittlerweile weite
Bevölkerungsgruppen quer durch alle Alterskohorten erfasst. Nach einer
aktuellen Studie des Pew Internet & American Life Projects nutzen bereits 48
Prozent der erwachsenen Internetnutzer Videoplattformen, 15 Prozent sogar
regelmäßig. Zwar rekrutiert sich die Mehrzahl der Nutzer nach wie vor aus
der Gruppe der 18 bis 29-jährigen, im Vergleich zu früheren Studien ist
jedoch eine Angleichung festzustellen. Dies gilt auch für das Geschlecht, den
Bildungsstand und das Einkommen, wo bereits kaum noch Unterschiede zwischen
Nutzern und Nichtnutzern bestehen. Damit eignen sich Videoplattformen aus
Werbesicht für so ziemlich jedes Produkt.
Virales Marketing - Werbung undercover
Im Gegensatz zur offensichtlichen Will-it-blend-Kampagne kann Werbung auf
Videoplattformen aber auch getarnt daherkommen: Ein Parkplatz irgendwo in einer
Großstadt. Zu sehen sind zwei junge Männer in Sportkleidung. Einer von
beiden ist Kobe Bryant, seines Zeichens amerikanischer Basketball-Superstar.
Der Film scheint auf den ersten Blick ein Amateurvideo zu sein, ohne
Schnitte, die Kamera bewegungslos auf einem Stativ, das Rauschen einer
Straße überlagert den Ton. Bryant zeigt seine neuen Turnschuhe in die Kamera
und wettet mit seinem Kumpel. Was, ist nicht zu verstehen. Wenig später
winkt er etwas heran, macht sich bereit und überspringt knapp einen
plötzlich heranrasenden Sportwagen.
Videos: Will it blend?
Der Clip ist ein Paradebeispiel für virales Marketing. Zuerst war er nur
auf Bryants Homepage
KB24.com zu sehen, wurde dann aber mehrmals
auf Youtube hochgeladen. Bereits nach fünf Tagen hatte alleine die meistgesehene Kopie
des Videos zwei Millionen Clicks und war das meistgesehene Video der Woche, die
etwa 20 Kopien hatten zusammengenommen noch mal genauso viele Zuschauer.
Selbstverständlich handelt es sich bei dem „spontanen“ Stuntversuch um einen
Werbefilm von Nike, aber dennoch hat das Video zu einer regen Debatte über
seine Echtheit unter Youtube-Nutzern geführt (über
7.000 Kommentare) .
Andere Nutzer nahmen die Idee auf und schufen Parodien auf den Stunt, die
wiederum auf das Original verweisen. Hinzu kommt die Verlinkung durch andere
reichweitenstarke Medien: das Video wurde unter anderem auf Yahoo.Sports.com
(ca. 800.000 weitere Clicks), Spiegel Online Sportsillustrated.cnn.com sowie
laut der Blogsuchmaschine Technorati auf rund 250 Blogs verlinkt. Das Beispiel klingt wie der
Traum eines jeden Werbers: ein Spot, der im Gegensatz zu Fernsehwerbung
freiwillig rezipiert und an Freunde empfohlen wird, dazu in der Distribution
völlig kostenlos ist.
Nutzer ersetzen die Werbeagentur
Entscheidend sind kreative Ideen und eine mediengerechte Umsetzung. Aber
warum Geld für eine Werbeagentur ausgeben, wenn sich bei Youtube Millionen
von Amateurfilmemachern tummeln, die nur für die berühmten „15 minutes of
fame“ arbeiten? Deshalb veranstalten einige Firmen sogenannte Contests:
Nutzer werden aufgefordert, für Produkte wie einen Nesquik-Kakaotrunk,
Post-Its oder den neuen Wilkinson-Rasierer Werbespots zu drehen. Für
minimale Gewinnsummen, einen Laptop oder einen Monatsvorrat Dunkin‘Donuts-Becherkaffe bekommen die Firmen kostenlos hunderte authentischer
Filme, die allesamt die Aufmerksamkeit auf die Marke ziehen. Zumindest in
der Theorie. Tatsächlich verzeichnen Amateurvideos mit Lobeshymnen auf
Staubwedel oder Sparkonten selten mehr als 10.000 Views, für Youtube
mickrige Zahlen.
Youtube experimentiert mit neuen Werbeformen
Billig sind solche Contests für die Unternehmen nicht. Nach Angaben von
Google wird ein Werbebudget von 500.000 US-Dollar (ca. 317.000 €) benötigt,
bevorzugte Platzierung inklusive. Eine weitere Werbeform, mit der Youtube
momentan experimentiert, sind sogenannte Brandchannels. Unternehmen, im
Youtube-Jargon als „Sponsoren“ bezeichnet, bekommen in Verbindung mit der
Buchung von Anzeigenplatz an das Corporate Design angepasste Nutzerprofile.
Ein Brandchannel schlägt mit 200.000 US-Dollar (ca. 126.800 €) zu Buche.
Wer die deutschsprachige Ausgabe von Youtube nutzt, bekommt zurzeit noch
keinen einzigen Brandchannel angezeigt, offenbar sind die Nutzerzahlen in
Deutschland (rund sieben Millionen) noch zu gering. Amerikanische Firmen sind da
bereits weiter. Besonders Autohersteller, Sportartikelhersteller und natürlich
Filmverleiher nutzen das neue Werbeumfeld. Mit dabei auch die US-Navy, die
potenzielle Rekruten auf Youtube vermutet. Neu ist, das Unternehmen als
Personen dargestellt werden, was man je nach Blickwinkel als Selbstironie
oder peinliche Anmaßung einstufen kann. Die Navy etwa gibt als
Lieblingsmusik die Nationalhymne und America the Beautiful an, „ihre“
Lieblingsbücher sind die Verfassung, die Unabhängigkeitserklärung und die
Menschenrechte.
Neben Brandchannels experimentiert Youtube momentan mit sogenannten
In-Video-Ads, Werbung die am Rand eines Videos oder nach dem Abspielen
angezeigt wird. Dadurch soll unbedingt vermieden werden, dass Nutzer durch
die Werbung gestört werden. Denn nach einer Studie von Harris Interactive
geben 73 Prozent der Youtube-Nutzer an, die Videoplattform im Falle
vorgeschalteter Werbung seltener nutzen zu wollen.
Dagegen bewirbt Seven-One Interactive, der Vermarkter der Videoportale der
Prosieben-Sat1-Gruppe (u. a. Myvideo.de) auch Pre-Roll-Video-Ads,
also nicht vorspulbare Werbung vor dem eigentlichen Video. Der
Tausend-Kontakt-Preis für
einen 25-Sekunden-Spot liegt bei 100 Euro. Fraglich ist allerdings, ob die
Nutzer so lange auf das eigentliche Video warten, zumal Inhalte selten
exklusiv nur auf einer Videoplattform zu finden sind.
Insbesondere durch seine enorme Angebotsfülle hat Youtube hier Vorteile
gegenüber allen Konkurrenten, denn Vielfalt schafft Reichweite. So kann
Youtube alleine für eine Werbefläche auf der Startseite 150.000 US-Dollar
täglich berechnen. Aber erst nach der Übernahme durch Google läuft die Site
profitabel. Ein wesentlicher Grund liegt in Googles Adsense-System, bei dem zu einem Video thematisch passende
Anzeigen eingeblendet werden.
Die Werbebranche ist auf neue
Online-Werbeformen angewiesen
Die Experimente mit neuen Werbeformen werden in der Branche aufmerksam
beobachtet, denn Online-Werbung gilt nach wie vor als schwierig. Das zeigt
auch der im Vergleich zu den Nutzerzahlen immer noch äußerst geringe
Online-Anteil an den Gesamtwerbeausgaben. Klassische Werbeformen wie Banner
oder Layer verzeichnen nur minimale Klickraten von weit unter einem Prozent
–
sofern sie die Nutzer überhaupt zu sehen bekommen, denn kostenlose
Werbeblocker-Software ist mittlerweile bereits in vielen Browsern enthalten.
Das mit großen Hoffnungen verbundene Targeting, also zielgerichtete Werbung
anhand von Nutzeraktivitäten und Profilen, stößt in den Communities auf
massive Ablehnung, wie die jüngsten Proteste bei Myspace, Facebook oder Studi-VZ
zeigen. Videoplattformen wie Youtube haben dagegen aus Sicht der
Werbewirtschaft mehrere Vorteile:
-
eine hohe Reichweite, insbesondere in konsumaffinen Zielgruppen
-
virale Effekte sind möglich
-
das Umfeld gilt als hip und modern
-
Videoclips nutzen alle audiovisuellen Kanäle und erreichen eine höhere
Werbewirkung als Werbung in Form von Text oder Standbildern
-
keine zeitliche Beschränkung, ein einmal eingestellter Clip kann auch noch
Wochen später Reichweite erzielen
-
kaum Streuverluste, Werbung passt thematisch zu den Interessen des Nutzers
Youtube ist kein Zaubermittel
Entscheidend ist jedoch, dass der Nutzer mitspielt. Auch und vielleicht
gerade auf Youtube gilt: die Werbung muss gut gemacht und auf das Umfeld
abgestimmt sein. Langweilige Clips für langweilige Produkte mit
übertriebener Selbstbeweihräucherung werden gnadenlos abgestraft: durch
negative Kommentare oder, noch viel schlimmer: Nicht-Beachtung. Wer dagegen
ein innovatives Format entwickelt, sich auf die Nutzer einlässt und sie
nicht nur als Ideenlieferanten missbraucht, der kann sein Produkt getrost in
den Youtube-Mixer werfen. Werbung und Videoplattformen: Yes, it blends.
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