Der Blick ins Ich
kostet 399 Dollar. Doch keine Psychotherapie ist gemeint, sondern die
Analyse des eigenen Erbgutes. 23andMe, ein amerikanisches Startup,
bietet
diesen Service an. Das Startkapitel von 3,9 Millionen Dollar stammt von
Google. Die Ehefrau von Google-Gründer Sergei Brin, Anne Wojcicki, gehört zum Gründungsteam.
Alles geht ganz einfach: Der Kunde bestellt im Onlineshop des Unternehmens
ein optimistisch gestaltetes Analyse-Kit. Die Box mit einem Röhrchen kommt
mit der Post, der Kunde gibt eine Speichelprobe ab. Dann schickt er das
Paket an eines der Laboratorien, die
23andMe ihm nennt. Sechs bis acht
Wochen später erhält er eine E-Mail mit dem Zugangscode. Wieder steht ein
Besuch auf der Website an. Nur dieses Mal erfährt der Kunde, was sein Genom
verrät. Das Konzept
von 23andMe besteht somit nicht hauptsächlich darin, jedem die Analyse des Genoms
zu ermöglichen.
Das bieten auch andere an. Das Alleinstellungsmerkmal soll vielmehr sein, die Ergebnisse so zu kommunizieren, dass
auch der Laie sie
versteht.
Die Informationen, die er bestellt hat, muss der Kunde dann doch selbst
verarbeiten:
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, eine
bestimmte Krankheit zu bekommen? Sind meine Verwandten tatsächlich mit mir
verwandt? Welche Eigenschaften habe ich von meinen Eltern geerbt? Wie
gestalten sich meine genetischen Prädispositionen im Vergleich zu anderen
Teilnehmern? Psychotherapie gefällig?
Sicher, 23andMe, benannt nach den 23 Chromosomenpaaren des Menschen, sagt
nicht die Zukunft voraus. Doch die Informationen, so angenehm sie auch in
Statistiken und Wahrscheinlichkeiten verpackt sein mögen, werden auf
sensible Gemüter durchaus Eindruck machen.
Das weiß auch Esther Dyson, die im
Aufsichtsrat des Unternehmens sitzt. Dyson ist eine
amerikanische Unternehmerin, Journalistin und wird als
Digerati
zur Elite der amerikanischen Technologiebranche gezählt.
Durch spektakuläre Aktionen, beispielsweise die Veröffentlichung ihres
eigenen Erbgutes im Internet, hat sie internationales Medieninteresse
auf sich gezogen. 2009 ist Esther Dyson als
Ersatzkandidatin für den ehemaligen Microsoft-Manager Charles Simonyi
eingeplant, einen privaten Raumflug zur Internationalen Raumstation zu
unternehmen. Das
Training in Russland hat sie bereits absolviert.
Neue Gegenwart hat sich mit Esther Dyson über 23andMe und die Konsequenzen
unterhalten.
Frau Dyson,
was denkt der Durchschnittsbürger, wenn er von 23andMe
hört?
Esther Dyson:
Das ist schwer zu sagen. Vielleicht, dass
die Gene seine Zukunft voraussagen können. Wenn er aber versteht, dass Gene nur
Möglichkeiten abbilden, dann wundert er sich vielleicht über die Aufregung,
die mit dem Thema verbunden ist. Und wenn er erfährt, dass sein Erbgut dazu beitragen kann,
die Möglichkeiten der Genforschung zu verbessern, dann wird er möglicherweise gerne
seine Daten
zur Verfügung stellen.
Aber: Keine einzelne Person ist der „Durchschnitt“. Jeder hat einen
bestimmten Grund, sich für das Thema zu interessieren. Das sind, erstens,
jene Personen, die nichts oder nur wenig über ihre Eltern oder andere
Verwandte wissen
– und deshalb auch nicht
sonderlich viel über sich selbst. Manche Personen wissen, zweitens, dass eine
bestimmte Erbkrankheit oder sonstige Gegebenheit in ihrer Familie bekannt
ist. Sie wollen wissen, ob dies auch für sie selbst eine Rolle spielen könnte.
Andere interessieren sich für ihre Familiengeschichte oder generell für
wissenschaftliche Forschung.
Und natürlich gibt es auch jene, die sich über alles Sorgen machen. Wenn sie
ihre Erbgutinformationen kennen, werden sie einen weiteren Grund haben, sich
über etwas Sorgen zu machen.
Was kann mir 23andMe zum Beispiel
konkret verraten?
Dyson:
Angenommen,
23andMe sagt
ihnen:
„Für 23 von 100 Personen mit
diesem
genetischen Profil ist es wahrscheinlich, bis zum 80. Geburtstag die
Krankheit X zu
bekommen. Dann wissen sie noch immer nicht, ob sie einer der 23 sind, der X bekommen
wird, oder einer der 77 anderen. Oft kann man
die Wahrscheinlichkeit, zum Beispiel nicht zu erkranken, auch durch überlegte Ernährung
oder Sport verbessern. Das verändert ihr Verhalten und macht sie in jedem Fall gesünder, auch unabhängig vom
Ergebnis der Gen-Analyse.
Wie stellen sie sicher, dass ihre Kunden bereit für die Ergebnisse sind
– auch wenn es sich nur um statistische Werte und Wahrscheinlichkeiten
handelt? Sie können immerhin die Einstellung ihrer Kunden zu ihrem Leben
drastisch verändern.
Dyson: Das können wir nicht sicherstellen…. Aber je
mehr Leute die Dienstleistung in Anspruch genommen haben, desto besser werden
die Leute verstehen, worum es bei uns geht. Irgendwo muss man anfangen.
Inzwischen versuche wir, sehr klar zu kommunizieren, welche Informationen
wir liefern können und was sie bedeuten oder nicht bedeuten.
In gewisser Weise klären wir damit also auch über das Verfahren an sich auf.
Wie sieht der typische Kunde von 23andMe
aus?
Dyson: Momentan ist der typische Kunde jemand,
der sich besonders für Gesundheit und Wissenschaft interessiert. Wir hoffen,
zukünftig eine breitere Kundenbasis zu haben.
Wie viele Kunden benötigen sie, um
ernsthafte Forschung mit ihren Daten betreiben zu können, wie sie
beabsichtigen?
Dyson: Das kommt drauf an. Normalerweise benötigt man
für eine wissenschaftliche Studie mehr als 1.000 Personen. Aber viele
spezielle Faktoren spielen bei jeder einzelnen Studie eine Rolle.
Würde das Vertrauen der Interessenten
nicht größer sein, wenn Universitäten oder andere gemeinnützige
Einrichtungen diese Dienste anbieten würden?
Dyson:
Das glaube ich nicht. Vertrauen
worin? Wir bekommen unsere Daten aus den
gleichen Laboratorien, die auch die nicht-kommerziellen Anbieter nutzen.
Allerdings bemühen wir uns deutlich stärker als Universitäten darum, die
ausgeworfenen Daten für unsere Kunden verständlich zu machen.
Das können Universitäten
nicht in diesem Maße leisten.
Weshalb?
Dyson:
Weil unsere Kunden uns bezahlen und wir das Geld nicht nur dafür nutzen,
Wissenschaftler einzustellen. Wir beschäftigen auch Autoren, Designer und
andere Mitarbeiter, die dazu beitragen, die Informationen zum Erbgut
verständlich und interessant zu vermitteln.
Warum wird dies nicht dazu führen, dass es irgendwann normal wird, seine
genetischen Informationen und andere persönliche Daten zur eigenen
Gesundheit zu veröffentlichen? Versicherungen interessieren sich – neben
Informationen über den Lebenswandel – doch sicher auch für die
Krankheitsrisiken der Versicherten.
Dyson: Wie sie wissen,
habe ich mein Genom bereits veröffentlicht. Und wenn sie mich danach fragen:
Ja, ich habe die Daten meiner Krankenversicherung angeboten. Aber sie
wollten die Daten nicht haben!
Ich finde es aber wunderbar, die Daten im Web
Wissenschaftlern zur Analyse anzubieten – jeder wird mit anderen Hypothesen
und einer anderen Methodik an die Daten herangehen. Allerdings werden wohl die
meisten genetischen Daten anonymisiert bleiben, genau wie Informationen
über den Gesundheitszustand. Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten ist die
Identität des Einzelnen nicht relevant.
Wenn
derartige Unersuchungen normal werden, könnte dies nicht zu dem Eindruck
führen, dass man etwas zu verbergen hat, wenn man keine Analyse durchführt
oder die Daten veröffentlicht?
Dyson:
Das bezweifle ich. Warum sollte jeder sein Genom veröffentlichen? Sie
veröffentlichen ihre Finanzinformationen ja auch nicht im Web.
Sie haben den
Preis einer genetischen Analyse von 999 Dollar auf 399 Dollar
gesenkt.
Eines Tages wird es vielleicht möglich sein, für 50 Dollar die gleiche
Analyse anzubieten. Wenn aber jeder derart einfachen Zugriff auf diese
Ressource hat, werden Versicherungen auch damit umgehen können. Vielleicht
wird es sogar normal, die Informationen von den Versicherten abzufragen
– wie es schon
heute bei bestimmten Lebensversicherungen mit sehr hohen Versicherungssummen gegeben
ist. Wie könnte ihre Technologie den Umgang der Versicherungen mit ihren
Versicherten beeinflussen?
Dyson: Mit der genetischen Information werden
Krankenversicherungen immer besser werden, beispielsweise Prognosen über
Krankheitsverläufe abzulesen. Und mit etwas Glück wird diese Information
dann auch dazu beitragen, die Krankheitsverläufe im positiven Sinne zu
beeinflussen. Wir können dann nämlich auch die Wirkung bestimmter
Medikamente und Behandlungsmethoden besser abschätzen. Langfristig wird sich
die Krankenversicherung selbst verändern müssen: Patienten werden in
Risikogruppen klassifiziert werden, für die
mögliche zu erwartende Kosten kalkuliert werden können. Versicherungen müssen dann,
bezuschusst von der Regierung, die zu erwartenden Kosten zahlen. Die
Krankenversorger würden die Differenz behalten, falls ihre Patienten
entgegen der Prognose gesünder sind. Das wird offensichtlich ein
kompliziertes System, aber das aktuelle System ist auch nicht besser. Der
Unterschied bestünde vor allem darin, dass das neue System gezielt gute
Resultate belohnen und damit Anreize schaffen würde, diese zu erreichen,
während das derzeitige System die Pflege unabhängig vom Resultat der
Behandlung bezahlt.
Vielen Dank für das Gespräch. |
Zur Person
Bild:
James Duncan
Davidson
Esther Dyson,
EDventure
Holdings
Die amerikanische Unternehmerin und
Journalistin Esther Dyson wurde 1951 in Zürich geboren.
Nach einem
Wirtschaftsstudium in Harvard arbeitete sie zunächst bei Forbes, wechselte
nach mehreren Stationen zu Rosen Research und übernahm die Firma 1983.
Fortan nannte sie das Unternehmen EDventure Holdings. Bekannt wurde Dyson
vor allem durch ihre konsequent durchnummerierten Veröffentlichungen zur
gesellschaftlichen Wirkung von Computertechnologie, die sie bis 2006 in
ihrem monatlichen Newsletter Release 1.0 veröffentlichte. 1997 erschien ihr
Buch Release 2.0 zum Einfluss des Internets auf das Individuum. Unter
dem Titel Release 3.0 veröffentlichte sie ihre Kolumne in der New York Times.
Ihr Blog, Sie ahnen es, Release 4.0, ist seit 2005 in ihrem
Flickr-Account aufgegangen.
1998 bis 2000 war Dyson
Gründungsdirektorin der Internet Association for Assigned Names and Numbers
(ICANN), einer Non-Profit-Organisation, die unter anderem über die Vergabe
von Toplevel-Domains wacht.
2004 hat sie EDventure Holdings an CNET Networks verkauft, führt ihre
Geschäfte aber weiterhin unter diesem Namen. Sie investiert in Unternehmen aus den Bereichen
Internet, Gesundheitswesen und auch in die private Raumfahrt.
Am Rande gefragt
Welches
Unternehmen oder Geschäftsmodell wird das nächste große Ding 2009?
Dyson: Ich glaube, dass das ein Mix aus Facebook und
Twitter wird. In einem Jahr verändert sich nicht so viel.
Welches
Geschäftsmodell halten sie für überbewertet?
Dyson:
Werbung in
Social Networks. Marketingleute sollten Social Networks dazu nutzen, mit
Kunden in Kontakt zu treten: zuhören und auch selbst reden. Das scheint mir
ein Erfolg versprechendes Modell zu sein. Auch müssen sie ihre Kunden so vom
Produkt überzeugen, dass diese die Produkte selbstständig weiterempfehlen.
Nur so werden die Kunden Logos der Produkte auf ihren Seiten
veröffentlichen, in Gesprächen mit ihren Kontakten die Produkte erwähnen
oder sie weiterempfehlen. |