"We don’t
make web sites the way our parents did."
David
Siegel in "Creating Killer Web Sites", 1997
Meine Eltern haben weder 1997 noch 2007 Websites entwickelt. Trotzdem ist
das Internet heute anders als das Netz, das ich vor über zehn Jahren kennen
gelernt habe. Was sich konkret geändert hat und wann das passiert ist, lässt
sich rückblickend nicht einfach beschreiben. Das Internet ist mit so einer
Macht und Geschwindigkeit in unseren Alltag gedrängt und dort inzwischen
nicht mehr wegzudenken, dass lediglich eine Tatsache Bestand hat: Das
Internet ist Infrastruktur und als solche weder Trend noch Medium. Das
Internet verbindet Menschen und Maschinen und dient Kommunikation und Handel
als technologische Basis.
Das digitale Netz hat bereits viele Hype-Wellen erlebt und überlebt. Und
auch wenn es nach wie vor viele Menschen gibt, die noch keinerlei bewusste
Berührungspunkte mit Internet-Anwendungen hatten, wächst parallel eine
Generation auf unserem Planeten heran, der ein Leben ohne Internet gänzlich
unbekannt ist und auch unmöglich erscheint.
Das Internet ist erwachsen
Das Internet hat seine Pubertät durchlebt und macht das, was junge Menschen
machen, wenn sie ein bestimmtes Alter erreichen: ausziehen in die große,
weite Welt. Für das Internet bedeutet dies ein Ausbrechen aus einem ehemals
käfigartigen Webbrowser: Desktop-Anwendungen kommunizieren in Echtzeit mit
dezentral verteilten Datenquellen, unsere Telefonate aus Übersee werden
mittels Voice over IP abgewickelt, Aggregatoren sammeln Nachrichten aus
unterschiedlichsten Quellen ein und bereiten die für uns jeweils relevanten
Informationen für unterschiedlichste Endgeräte auf, wenn auf der dieser Welt
ein Unglück passiert, können wir einen Augenzeugenbericht auf unserem iPhone
oder Blackberry lesen, noch bevor eine Nachrichtenagentur die Geschichte
aufgreift, Internet-Videos halten Einzug auf dem TV-Gerät in unserem
Wohnzimmer.
„Always-on“
ist Realität
„Online sein“ ist kein Modus mehr, dem wir uns entziehen können. Ob wir
wollen oder nicht, das Netz ist in unserer Nähe und versorgt uns unentwegt
mit Informationen. Wir googeln die Erklärung eines Fremdworts auf unserem
Handy, wir chatten auf Skype mit unseren WG-Nachbarn, wir erledigen unseren
Weihnachtseinkauf auf Ebay und Amazon, wir werden ungeduldig, wenn wir nach
drei Minuten keine Antwort auf eine Email bekommen, wir beschweren uns
mittels Twitter bei unseren Freunden und Followern über eine erneute
Flugverspätung, wir beschwören das Ende des Abendlandes, wenn unsere
Lieblingswebsite für zehn Minuten offline ist, und wenn wir Langeweile
haben, dann poken und gruscheln wir, bis wir merken, dass ein
Tag immer noch 24 Stunden hat.
Das Netz ist unser
Computer
Bereits seit 1995 predigte Oracle-Gründer Larry Ellison das Kommen eines
„Network-Computers“. Im Sommer 2000 stellte er mit dem New Internet Computer
(NIC) ein Gerät vor, welches seine Vision manifestierte. Das World Wide Web
sei größer und wichtiger ist als das, was wir lokal auf einem kleinen
Computer speichern können. Deshalb verzichtete der NIC auf Speichermedien
und sollte als
„Thin Client“ alle notwendigen Anwendungen und Daten aus dem
Internet laden. Der NIC scheiterte damals unter anderem daran, dass der
Zugang zum Internet nur langsam und teuer war.
Heutzutage verfügt zwar jedes Handy über mehr lokale Speicherkapazität als
ein handelsüblicher PC aus dem Jahr 2000, doch Ellisons Idee des
Network-Computers ist lebendiger denn je. Geräte wie der Eee-PC von Asus
definieren mit den so genannten Netbooks eine neue Generation von
„Thin
Clients“ und erweisen sich nicht nur Dank der Tatsache, dass 28.8k-Modems
der Vergangenheit angehören und schnelle, kostenlose Wifi-Hotspots
omnipräsent sind, als kommerzieller Erfolg. In Kombination mit netzbasierten
Anwendungen wie
Google Docs oder Apples
MobileMe erlebt der Thin Client
seine Wiederauferstehung.
Wir sind das Netz
Das Internet lebt von unseren Inhalten. Das war übrigens schon immer so. Wer
das nicht glaubt, möge bitte den Begriff
„Usenet“ auf Wikipedia
nachschlagen. Das Produzieren und Veröffentlichen von eigenen Inhalten wird
allerdings immer einfacher. Im Jahr 2008 muss man kein studierter
Informatiker mehr sein, um ein Foto auf Flickr oder ein Video auf YouTube
hochzuladen und mit Freuden zu teilen. Deswegen wird das Internet inzwischen
mit nutzergenerierten Inhalten überschwemmt. Und das wiederum ist gut so. Es
gibt keine Gatekeeper mehr, die entscheiden, was gut und
„veröffentlichungswürdig“ ist oder nicht. Diese Gatekeeper sind wird selbst,
jeder für sich und jeder so, wie er mag.
Die digitale
Revolution schafft neue Märkte und Marken
Wer im Jahr 1995 einen Kinofilm produzieren wollte, scheiterte eventuell
bereits an der Aufgabe, die Miete für eine adäquate 35-Milimeter-Filmkamera
aufzubringen. Der weltweit führende Hersteller Panavision betrieb ein
äußerst lukratives Geschäft mit dem Verleih seiner Panaflex-Kameras. Ende
2005 zettelte Oakley-Gründer Jim Jannard eine digitale Revolution an und
begann mit der Entwicklung der RED One, einer digitalen Filmkamera für das
Kinoformat zu einem Preis unterhalb der 20.000-Dollar-Grenze. Wer heutzutage
einen Kinofilm produzieren möchte, kann seine Kamera für 17.500 Dollar auf
der Website von RED online kaufen.
Wer im Jahr 2000 ein Handy kaufen wollte, hatte die Wahl zwischen den damals
führenden Anbietern Nokia, Motorola, Ericsson und Siemens. Nachdem man
zwischenzeitlich in die Top-3 aufgerückt war, hat sich Siemens inzwischen
komplett aus Markt der Handy-Hersteller zurückgezogen, Ericsson ist zu
Sony-Ericsson verschmolzen und hinter Samsung auf Platz 4 der weltweit
größten Hersteller zurückgefallen. Ganz nebenbei entstand allerdings ein
neuer Markt der so genannten Smartphones. Hier teilen sich heute neben Nokia
drei Firmen die Marktführerschaft, die vor zehn Jahren noch gar nicht
existierten beziehungsweise Handys hergestellt haben: Research in Motion (RIM),
HTC und der neue Innovationsführer Apple.
Wohin geht die
Reise?
Um auch nur ansatzweise zu erkennen, wie schnell sich die Welt um uns herum
entwickelt und verändert, sollte man ein Gespräch mit 12 bis 14-jährigen
Schülern suchen, die Email nur verwenden, um mit alten Menschen zu
kommunizieren, die sich nachmittags auf StudiVZ verabreden, um gemeinsam
„on“ zu sein, die zu alt sind, um im
Club Penguin
zu spielen und deshalb auf
Kwick neue Freunde finden, die auf MySpace neue
Musik entdecken und auf YouPorn aufgeklärt werden. Diese heranwachsende
Generation versteht nicht, warum man um 20.15 Uhr einen Film im Fernsehen
schauen sollte, wenn man den Film doch auch um 19.17 Uhr im Internet abrufen
kann, sie versteht nicht, warum das Tauschen von Musik illegal sein sollte
und sie versteht nicht den Mehrwert von gedrucktem Papier mit den
Nachrichten von gestern. Es ist die selbe Generation, die ihr Taschengeld in
Klingeltöne investiert oder in Cheat-Codes für Online-Spiele, die auf der
„Wii Fit“ den Sportunterricht
schwänzt und auf hm.com neue Klamotten bestellt.
Immer schneller,
immer mehr
Die Zeit, in der unsere Gesellschaft abends gemeinsam vor dem Fernseher saß,
um zwischen drei verfügbaren Fernsehprogrammen zu wählen, ist endgültig
vorbei. sie kennen noch das Wort
„Gassenfeger“? Streichen sie den Begriff
aus ihrem aktiven Wortschatz, verabschieden sie sich von dem Konzept.
Willkommen im Jahr 2008, willkommen im Zeitalter der unendlichen Auswahl.
Auf YouTube laden Nutzer schon heute 13 Stunden Videoinhalte hoch
– pro Minute!
Videos zu produzieren und im Internet zu veröffentlichen ist heute
kinderleicht. Gehen sie deshalb davon aus, dass jedes Kind auf dieser Welt
von dieser Möglichkeit gebrauch machen wird
–
früher oder später, abhängig davon, wo
auf der Erde dieses Kind aufwächst.
Du bist ein
Server, ich bin ein Server, wir sind alle Server
Legen sie die Vorstellung getrost zu den Akten, dass Webserver große teure
wartungsunfreundliche Computer-Kisten sind, die in gekühlten Räumen
schlummern, um Millionen von Webseiten gleichzeitig auszuliefern. Es ist
schon heute problemlos möglich, ohne technische Vorkenntnisse ein
handelsübliches Handy mittels einfach zu bedienender Software in einen
Webserver zu verwandeln, der, wenn es gewünscht wird, alle Inhalte auf dem
Handy (Fotos, Videos, Termine, Email etc.) über eine UMTS-Verbindung direkt
ins offene Internet überträgt. Bereiten sie sich also auf eine Zeit vor, in
der jedes Gerät als Webserver fungiert. Das fängt bei Ihrem DVD-Spieler im
Wohnzimmer oder bei der Spielkonsole im Kinderzimmer an, und wird sicherlich
nicht bei Ihrer digitalen Fotokamera aufhören. Und in wenigen Jahren werden
sie sich fragen, wie es damals war in der Zeit, als Ihre Kaffeemaschine noch
nicht über eine Internetverbindung bedienbar war.
Jeder Inhalt,
jederzeit
Wenn alle unsere Inhalte digital verfügbar sind, wenn Laptops so klein und
leicht werden, dass wir sie problemlos immer und überall dabei haben können,
wenn alle unsere technischen Geräte
„always on“ sind und ununterbrochen im
Internet miteinander kommunizieren, dann wachen wir eines Tages auf uns
stellen fest, das die
„Cloud“ kein nebulös schwammiger Begriff mehr ist,
sondern gelebte Realität. Wir werden nicht mehr Musik in Apples iTunes Music
Store kaufen und dann auf unseren iPod kopieren. Der iPod der nahen Zukunft
wird auf Server zugreifen und die Musik direkt aus dem Internet abspielen.
Neue Musikdienste wie
Spotify zeigen uns den Weg in diese Zukunft.
Netzbasierte Software wie Google Docs, auf dem auch dieser Text entstanden
ist, lassen uns schon heute erleben, wie sich diese Zukunft anfühlen wird:
Umgeben von permanent verfügbarer Information werden wir nicht mehr
„Daten
aus dem Netz laden“ sondern mit Daten im Netz arbeiten, diese nicht lokal
verändern und dann weiterleiten, sondern im Netz bearbeiten und parallel mit
Dritten teilen.
„Die
Zukunft soll man nicht voraussehen wollen,
sondern möglich machen.“
Antoine de Saint-Exupéry in
„Die
Stadt in der Wüste“, 1948 |
Der Autor
Heiko Hebig
Heiko Hebig arbeitet als Head of Digital Media bei Hubert Burda Media und
treibt im Bereich Research & Development innovative Internet-Projekte voran.
Als Business Development Manager leitete er die Aktivitäten der Weblog-Firma
Six Apart im deutschsprachigen Raum. Er ist ein Experte für Weblogs,
Internet-Communities, sog. Web-2.0-Anwendungen und Content Management
Systeme und war bei IconMedialab als IT-Berater für Projekte bei Firmen wie
MasterCard, DoubleClick, Siemens Medical und AltaVista verantwortlich. Heiko
Hebig führt seit 2000 sein privates Weblog unter
www.hebig.com und ist Twitter-süchtig.
Heiko Hebig hat International Management&Marketing an der Hanzehoogeschool
in Groningen (NL) studiert und ist Bankkaufmann.
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