Text:
Daniel Drungels
Illustration: Peter
Suneson
„Retrospektiv und doch nach vorn gerichtet“, rappt Max Herre in dem Song
„Erste Schritte“. Dieses Zitat soll den Leser als roter Faden durch den
Artikel führen. Zwar kann niemand weissagen, was die Zukunft der
Mediengesellschaft für ihre Mitglieder bereithält. Dennoch können die
bisherigen Entwicklungen hilfreiche Anhaltspunkte für potenzielle
Innovationen liefern, möchte man einen Ausblick auf mögliche Entwicklungen
in den Bereichen Internet und Mobilkommunikation wagen. Welchen
Erkenntnisgewinn Rapmusik in diesem Zusammenhang verspricht? Die Antwort
gibt eine Retrospektive.
Innovationen im Medienbereich können sich nur durchsetzen, wenn sie die
Kommunikationsbedürfnisse der Nutzer ansprechen. Wer sich also mit der
Zukunft des Webs oder mit neuen Entwicklungen im Bereich der
Mobilkommunikation befasst, der kommt nicht umhin, auch einen Blick auf die
potentiellen Nutzer zu werfen. Eine bereits absehbare Entwicklung ist eine
verstärkte Nutzung personen- und standortbezogener Dienste nach Vorbild des
MeCenter.
Diese Dienste korrespondieren vortrefflich mit individualisierten
Nutzungsmotiven, wie sie für das so genannte Web 2.0 kennzeichnend sind. Die
Rapmusikszene weist Merkmale auf, die sie in diesem Zusammenhang als
potentielle Nutzergruppe qualifiziert.
Wir haben gerockt auf Boxen,
die andere als Kopfhörer tragen.
Absolute Beginner – Bambule
(LP). Mikro in der Hand (feat. David P.).
Erstens ist Rap die Musik des HipHop. HipHop ist eine Jugendbewegung, die
sich überwiegend aus der Gruppe der 14- bis 29-Jährigen zusammensetzt, aus
denen also, die die
ARD/ZDF
Online-Studie als Intensivnutzer ausweist. Intensivnutzer sind
offen und experimentierfreudig. Sie haben Web 2.0-Anwendungen wie StudiVZ,
MySpace oder Youtube bereits in ihren Alltag integriert. Das ist einer der
Gründe, warum die Rapszene auch bei der Etablierung personen- und
standortbezogener Dienste eine Rolle spielen wird.
Ihr hört mir zu und ich mach mein Ding.
Mister Schnabel – Ruff in Mikros
Individualität ist ein zentrales Motiv der HipHop-Bewegung und steht auch
bei Rappern seit jeher hoch im Kurs. Die Grundidee des HipHop ist, der
eigenen Kreativität Ausdruck zu verleihen, sei es in Form von Tanz, Graffiti
oder Musik. Wir sehen also, dass diese Grundidee der Konzeption des Web 2.0
als Mitmachnetz entgegenkommt. Die Möglichkeiten zur Partizipation, die das
Netz bietet, werden von der Szene angenommen und rege genutzt.
Just throw your hands up in the air
and party hardy like you just don´t care
Sugarhill Gang – Rapper´s Delight
Betrachtet man die HipHop-Szene, fällt auf, dass sie ihre Entstehung ein
paar wenigen MacGyvern verdankt. Die ersten Aktiven waren
Improvisationstalente, die das nahmen, was sie gerade zur Hand hatten und
das Beste daraus machten. Der musikalische Grundstein des HipHop wurde
gelegt, als DJs aufhörten, Plattenspieler als reines Abspielgerät zu benutzen
und diese zu Musikinstrumenten umfunktionierten. Das DJ-ing war geboren, eine
der vier Säulen des HipHop. Rapper nannte man ursprünglich MCs, was für
Master of Ceremony steht. Sie bildeten die zweite Säule und waren eigentlich
nur Animateure für das Publikum, die mit improvisierten Slogans den DJ
unterstützten. Dass sich daraus ein eigenständiges Genre entwickeln sollte,
war damals nicht abzusehen. Umgangssprachlich ließe sich von Rapmusik als
Recycling sprechen, kommunikationswissenschaftlich bietet sich der Terminus
Anschlusskommunikation an.
Rapmusik ist textlastiger als andere Genres. Ein durchschnittlicher Rapsong
enthält in der Regel gut doppelt so viel Text wie ein durchschnittlicher
Popsong. Der Beat dient dabei eher der Unterstützung des Textes. Teilweise
wird sogar ganz und gar auf den Beat verzichtet.
Niemand wird versuchen, ein Jazzkonzert oder eine Oper mit dem Handy
aufzunehmen. Bei einem Freestylerap ist das schon etwas anderes. Schlechter
Sound kann dem Rhythmus der Sprache kaum etwas anhaben und solange der Text
verständlich bleibt, ist auch die Message des Songs nicht gefährdet und die
Möglichkeiten zur Anschlusskommunikation bleiben erhalten. Außerdem ist die
Stimme das dominante Instrument. Rap ist also weniger als andere Genres auf
ein hochwertiges Klangbild angewiesen, sondern funktioniert auch bei
Aufnahmen minderer Qualität, wie sie mit Handys und Camcordern gemacht
werden können.
Dass Rap hochgradig anschlussfähig ist, wird noch deutlicher, wenn man sich
ein weiteres Merkmal dieses Genres anschaut, den Wettbewerbsgedanken. Mitte
der 1980er Jahre, als HipHop allmählich einem größeren Publikum zugänglich
wurde, begannen die ersten Künstler zu betonen, welchen Beitrag sie zu
dieser Entwicklung geleistet hatten. In den verschiedenen New Yorker
Stadtteilen wetteiferten die unterschiedlichen Crews und Künstler um den
Respekt der Hörer. Exemplarisch für den in dieser Zeit entstandenen
Wettbewerbsgedanken, kann der Battle zwischen
MC
Shan und
KRS
One beziehungsweise Boogie Down Productions und
The
Juice Crew gelten. Am Beispiel der
Bridge
Wars wird auch deutlich, dass die Battles eine Form
von Lokalpatriotismus bedienten. Die jeweiligen Künstler repräsentierten
nicht nur sich selbst, sie repräsentierten auch das Viertel, die Hood, der
sie entstammten. Die Schallplatte war das Medium, auf dem die Fehden
bestritten wurden. Durch Airplay im Radio wurde der eigentlich lokal
begrenzte Battle auch über die Grenzen von Queensbridge und Brooklyn hinaus
getragen. Die Rapper wussten die technischen Möglichkeiten ihrer Zeit schon
damals geschickt zu nutzen.
Die Grundidee des HipHop, der eigenen
Kreativität Ausdruck zu verleihen, wurde nun um ein weiteres Merkmal
ergänzt. Das Streben nach Anerkennung und Respekt für das eigene kreative
Schaffen. Es ist also nicht übertrieben zu behaupten, dass Rapper die
Funktionslogik der Medien schon damals verinnerlicht hatten. Wer Anerkennung
begehrt, der muss Aufmerksamkeit auf sich lenken und größtmögliche
Aufmerksamkeit erreicht man nur über mediale Präsenz.
Das gilt auch für die deutsche Rapszene. Mit dem Trägermedium CD schafften
deutsche Rapper und HipHop-Crews den Sprung in den Mainstream. Gruppen wie
Absolute Beginner oder Freundeskreis erschienen Ende der 1990er Jahre mit
ihren Alben in den Charts und setzten die Tradition der Aufmerksamkeitsgenerierung fort.
Den Gruppen wurde Sell-Out vorgeworfen, dass sie also den Grundgedanken der Szene
dem kommerziellen Erfolg opferten. Der Song „Liebeslied“ von Absolute Beginner bringt
auf ironische Weise zum Ausdruck, dass auch die Künstler sich des Problems
bewusst waren, das entsteht, wenn eine Subkultur massenkompatibel wird.
Einerseits die Werte der eigenen Szene zu repräsentieren und andererseits
die Funktionslogik der Musikbranche für die eigenen Zwecke zu
instrumentalisieren, erforderte einiges Geschick. „Liebeslied“ löst
diese Problematik auf nahezu geniale Weise und beweist abermals, wie
anschlussfähig Rapmusik ist. Rapper nehmen in ihren Texten wechselseitig
aufeinander Bezug. Textstellen werden zitiert, in einen neuen Kontext
gestellt und dienen häufig sogar als Aufhänger für neue Songs.
Ob ihr es kauft oder brennt – egal - das ist alles
Promotion.
Melbeatz - Rapper´s Delight (LP). OK! (feat. Kool
Savas, Samy Deluxe)
In dieser Zeile aus dem Song „OK“ verrät Kool Savas den Hörern sein
Erfolgsrezept und stellt gleichzeitig unter Beweis, dass er die
Funktionslogik der Medien kennt. Als die Musikindustrie begann, vermehrt
über rückläufige Umsätze im Tonträgersegment zu klagen, machten sich die
rappenden Pioniere auf ins Internet. Mittlerweile ermöglichten es
leistungsstärkere PCs und günstige Software den Rappern und DJs, ihre Songs
in den eigenen vier Wänden aufzunehmen, ohne auf teures Studioequipment
zurückgreifen zu müssen. Der Weg ins Netz war nun nicht mehr weit. Das in
Eigenregie produzierte Werk über das Internet zu verbreiten, ist dann der
nächste logische Schritt. Das geschieht beispielsweise über
Internetplattformen wie
Reimliga
Battle
Arena oder
Webbeatz.
Hier frönt die Szene virtuell dem Wettbewerbsgedanken und MCs und DJs
kämpfen um ihr Stück vom Aufmerksamkeitskuchen. Die Zahl der ausgetragenen
Online-Rap-Battles geben die Betreiber der Reimliga Battle Arena mit 43.000
an. Webbeatz hat rund 22.600 Mitglieder.
Social Networks bei Rappern im Allgemeinen großer Beliebtheit. Das hat wohl
auch etwas mit dem in der Szene weit verbreiteten Hang zur Selbstdarstellung
zu tun. Das hat oft unbeabsichtigte Folgen. So ist auf der Internetseite
complex.com jüngst ein Beitrag mit dem Titel „Who’s
The Worst Rapper Video Blogger?“ erschienen.
Dass Rapper als internetaffin gelten müssen, zeigt auch das Beispiel der „Feuer
über Deutschland“-DVDs. Deren Produzenten casteten die Bewerber
für den dritten Teil der Reihe per Youtube.
Die kurze Version der Geschichte von den musikalischen Wurzeln des HipHop
und den Besonderheiten des Rap zeigt, dass sich die HipHop-Szene ganz
allgemein und Rapper im Besonderen seit jeher hervorragend darauf verstehen,
sich auf neue Situationen einzustellen und verfügbare Medien für ihre Zwecke
zu nutzen. Sie sind junge Individualisten auf der Jagd nach dem schnellen
Dollar des Mediensystems: Aufmerksamkeit. Sie haben sich als anpassungsfähig
und innovativ im Umgang mit neuen Medientechnologien erwiesen und ihre Kunst
ist hochgradig anschlussfähig. Die Nutzung personen- und standortbezogener
Dienste ist nur die konsequente Fortsetzung einer Entwicklung, deren Wurzeln
in der Entstehung des HipHop liegen.
MC D steht auf einem Schulhof in Münster. "Ich battle jeden, jederzeit und
an jedem Ort!", bellt er sein Handy an und untermalt seine markigen Worte
mit ein paar entschlossenen Gesten. Das Gerät schneidet alles in Bild und
Ton mit. Die Aufnahmequalität ist nicht überragend, doch für seine Zwecke
ausreichend. MC D braucht keinen Dolby Surround-Sound, für ihn zählt nur die
Message.
Dann schickt er die audiovisuelle Kampfansage per E-Mail an eine
Onlineplattform für Rap-Battles. Ermöglicht wurde das durch den Ausbau der
WLAN-Landschaft. Ein dichtes Netz aus Funkzellen ermöglicht die
Positionsbestimmung von Digitalgeräten auf ein paar Meter genau.
Augenblicklich erscheint MC Ds Video mit Datum, Uhrzeit und seinem aktuellen
Aufenthaltsort auf der Internetseite der Onlineplattform. Hier ist es für
alle Mitglieder der Community sichtbar und wer sich traut und gerade in der
Nähe ist, kann sich MC D nun zum Duell stellen.
Keine fünf Minuten vergehen und MC Ds Handy vibriert. Seine Finger gleiten
über den Touchscreen und sogleich spielt das Gerät ein Video ab. MC Crazy B
hat MC Ds Aufruf gesehen und sofort geantwortet. Er sei gerade in der Nähe
und werde ihm ordentlich die Meinung geigen, wenn MC D sich traue in zehn
Minuten im Park um die Ecke zu erscheinen. MC D drückt auf Reply. „Sicher,
Alter!“ Kurz darauf stehen sich die beiden am verabredeten Treffpunkt
gegenüber. Ein Dutzend Jugendlicher bildet einen Kreis um die Kombattanten
und das Duell beginnt. Mehrere Handykameras filmen das Treiben. Später
werden die User online den Sieger bestimmen. Durch die Verbindung von Social
Networks, Mobilkommunikation und Diensten zur Positionsbestimmung, nähren
sich die virtuelle und reale Welt zusehends an. Was in der Reimliga Battle
Arena nur virtuell möglich ist, wird durch personen- und standortbezogene
Dienste mit der realen Umwelt rückgekoppelt.
Nach dem Battle macht sich MC D auf den Heimweg. Das Votum des anwesenden
Publikums war eindeutig. Er hat den Battle verloren. Ob die Community online
zu einem anderen Ergebnis gekommen ist, überprüft MC D noch unterwegs. Auch
hier hat er verloren.
Wieder vibriert das Handy. MC Ds Finger fliegen über den Touchscreen. Dann
dringt die Melodie eines Rapsong aus den Kopfhörern. Ein Kollege von MC D
hat einen neuen Song online gestellt und einen elektronischen Flyer an die
Straßenlaterne getagt, an der MC D gerade lehnt. MC Ds Kollege ist nämlich
Mitglied in einer Onlinemusikbörse, die diesen Service anbietet. Mitglieder,
die einen neuen Song auf die Internetseite der Musikbörse hochladen, können
an verschiedenen Positionen auf einer elektronischen Landkarte so genannte
Tags setzten. Andere Mitglieder werden via E-Mail informiert, sobald sie
sich in der Nähe eines Tags befinden und können dann über einen Link die
getagten Inhalte abrufen. „Flyer aus Papier sind 90er“, sagt MC D.
Nachdem die letzten Töne verhallt sind, bellt MC D wieder sein Handy an.
Diesmal zollt er dem Kollegen Respekt für dessen neuen Song. „Korrekt,
Alter!“
Das beschriebene Szenario ist Zukunftsmusik. Unrealistisch ist es nicht. |
Der Autor
Daniel Drungels, geboren im August 1982 in
Geesthacht, studiert seit 2005 Politikwissenschaft,
Kommunikationswissenschaft und Philosophie in Münster. Er ist Texter und
Rapper der Hiphop-Band „Satans fette Beute“. Erste journalistische
Gehversuche machte er bereits in der Schulzeit. Daniel Drungels bloggt auf
gehirnschluckauf.blogspot.com.
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