Jörg Armbruster: Also, ich bin kein Kriegsberichterstatter
und es ist für mich kein übermäßiger Reiz, aus Kriegs- und Krisengegenden zu
berichten. Mich hat hier die islamische und arabische Welt gereizt. Ich
hatte mir 1999, als ich diesen Job angeboten bekam, nicht unbedingt
vorstellen können, dass ich auch als Kriegsreporter unterwegs sein könnte im
Irak. Wir wussten zwar immer, dass hier ein Krisengebiet ist. Ich hatte mir
eigentlich auch vorgenommen, sehr viel vom Alltag der Menschen hier zu
berichten, um über das Kriegsgeschehen hinaus die Menschen zu vermitteln.
Ich fürchte, das kommt jetzt vor dem Hintergrund dieser
Irakberichterstattung zu kurz. Es ist alles auf den Irak fokussiert. Mein
Wunsch, als ich diesen Satz damals geschrieben hatte, war eigentlich viel
mehr als nur über Krisen aus dieser Region zu berichten.
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Im Mai diesen Jahres
sind
die Folterbilder von Abu Ghureib veröffentlicht worden. Nach Einschätzung des
Erfurter Islam- und Medienexperten
Kai Hafez sehen die Muslime in erster
Linie ihr USA-Bild bestätigt. Welche Reaktionen gab es im Irak bzw. im Nahen Osten in der Öffentlichkeit?
Armbruster: Ich glaube, es
stimmt was Kai Hafez da gesagt hat. Das negative Bild der USA ist bestätigt
worden durch diesen Abu
Ghureib-Skandal. Es ist das Bild einer Supermacht,
die Demokratie verspricht auf der einen Seite und im Grunde dann plötzlich dabei
ertappt wird, wie sie das gleiche tut, was vorher die Diktatur getan hat:
nämlich im Irak gefoltert, in Abu Ghureib. Es ist das Bild einer sehr
arroganten Supermacht, die den Arabern mit einer Doppelmoral begegnet, denn
bei diesen ganzen Diskussionen um Abu Ghureib darf man den
Palästinenser-Konflikt nicht vergessen. Das spielt eine wichtige Rolle und
die doppelbödige Rolle der Amerikaner spielt eine wichtige Rolle. Und ich
fürchte, dass dieses negative Bild sich vorläufig nicht mehr ändern lässt.
Es sitzt einfach zu tief in den Köpfen der Menschen hier und die Amerikaner
werden es unendlich schwer haben, wenn sie von Demokratie reden
– wie auf dem
G8-Gipfel schon wieder – sich hier überhaupt noch in die Köpfe der Menschen
hinein denken und hinein fühlen zu können. Sie werden wie
bei einem Pawlowschen Effekt eher Gegenreaktionen
und Abwehrhaltungen bei den meisten Menschen auslösen.[Diese
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Was gab es denn im Irak für besondere
Reaktionen auf die Bilder?
Armbruster: Wir haben versucht, die Menschen hinter den Bildern zu
recherchieren und das ist uns auch mehrfach gelungen. Wir haben Menschen
gefunden, die auf diesen schrecklichen Bildern abgebildet sind. Wir haben
dann entdeckt, warum sie so betroffen sind. Nicht nur, weil sie diese Folter
über sich ergehen lassen mussten, sondern weil sie nun in aller
Öffentlichkeit auch mit diesen Bildern gedemütigt worden sind. Diese Opfer
werden in ihrer eigenen Gesellschaft immer stärker isoliert. Deshalb haben
manche sogar an Selbstmord gedacht – was im Islam fast ein Ding der
Unmöglichkeit ist. Manche gingen sogar soweit, sich von ihrer Familie zu
trennen. Manche wurden sogar so ausgegrenzt, dass sie ihre Dörfer verlassen
haben, um irgendwo anonym neu an zu fangen. Sie sind also doppelt und
dreifach bestraft worden – einmal von der amerikanischen Seite, aber auch
von der irakischen Seite. Dort gibt es eben keine Therapeuten oder andere
Institutionen, die versuchen, solche Menschen abzufangen und die
Aufklärungsarbeit leisten. Das war ein zusätzlicher Aspekt, den wir
beobachtet haben und der uns sehr betroffen machte.
Die
Reaktionen auf die Folterbilder zeigt: Bilder scheinen viel größere
Reaktionen hervorzurufen als das geschriebene Wort.
Denn bereits zuvor wurde über angebliche Folterungen berichtet. Wie gehen
Sie als Fernsehredakteur mit diesem Wissen um? Gab es bereits Situationen,
in der Sie Bilder nicht gesendet haben?
Armbruster:
Es ist richtig, dass wir von diesen Folterungen schon sehr früh gehört
haben. Wir haben angefangen zu recherchieren. Die Amerikaner haben total
gemauert. Wir haben es dann immer wieder in Berichten anklingen lassen, doch
wollten wir uns nicht nur auf die irakische Seite verlassen. Das Thema ist
tatsächlich erst mit diesen Bildern hoch gekommen. Fernsehen lebt von
Bildern, gerade von diesen starken Bildern. Man darf beispielsweise nicht
vergessen, dass der Rückzug der Amerikaner aus Somalia erst begann, als das
Fernsehen gezeigt hatte, wie ein toter GI durch die Strassen von Mogadischu
geschleift worden ist. Oder der Vietnam-Krieg ist letztendlich auf dem
Fernsehbildschirm entschieden worden. Abu Ghureib wird vermutlich ähnliche
Wirkungen haben. Dies sind aber Wirkungen, die das Fernsehen transportiert.
Denn wir haben ja diese Bilder nicht verursacht, sondern sind die
Transporteure dieser Bilder und ihrer Wirkung. Es gibt vielleicht
Grenzsituationen, bei denen man sich überlegt, ob man diese Bilder überhaupt
zeigen darf. Das sind dann Bilder – das habe ich auch schon getan – die
besonders grausam sind und die keinen neuen Informationswert haben. Das sind
vielleicht auch noch Bilder, die nur spekulativ bei den Zuschauern ankämen.
Es sind sehr schwierige Entscheidungen, die von Fall zu Fall immer neu
entschieden werden müssen. Ich berate mich da möglichst auch mit Redakteuren
in Deutschland, ehe ich eine solche Entscheidung treffe.
Die Folterbilder von
Abu Ghureib haben nicht nur in Deutschland eine Moraldiskussion
hervorgerufen. Zu sehen waren irakische Gefangene in demütigenden
Positionen, ohne dass ihre Gesichter unkenntlich gemacht worden
waren. Wären dies
Europäer gewesen, wären die
Reaktionen in der westlichen Welt
sicher heftiger gewesen. Können Sie dem zustimmen?
Armbruster: Ich kann
das nicht abstreiten. Das glaube ich auch. Aber ich habe auf der irakischen
Seite auch festgestellt, dass sehr viele Iraker bereit waren, über ihre
Folterungen und Erfahrungen zu berichten, auch wenn es solche demütigenden
Foltererfahrungen waren, wie sich nackt vor der Kamera auszuziehen oder
homosexuelle Praktiken über sich ergehen lassen zu müssen. Sie waren
trotzdem bereit, vor der Kamera mit offenem Gesicht darüber zu sprechen.
Deswegen glaube ich schon, dass wir da nicht anders berichtet haben, als wir
es vermutlich in Europa getan hätten. Es sind auf jeden Fall
Grenzsituationen gewesen, über die wir berichtet haben. Ich würde mich zum
Beispiel dagegen wehren, Bilder zu veröffentlichen, deren Herkunft ich nicht
kenne oder die ich nicht einordnen kann. Ich muss wissen, wo diese Bilder
entstanden sind und in welchen Zusammenhang sie stehen. Sie dürfen auch
nicht gegen die Genfer Konventionen oder anderen Menschenrechte verstoßen.
Das wäre der Fall gewesen, wenn die Gesichter deutlich zu erkennen gewesen
wären. Das war bei vielen Bildern nicht so. Aber wie gesagt, die irakischen
Opfer waren auch selber bereit, über ihre Erfahrungen in Abu Ghureib zu
berichten. Deswegen glaube ich schon, dass wir uns korrekt verhalten haben.
Anderes Thema:
Medienberichten zufolge ist es um die Pressefreiheit im Irak nicht gut
bestellt. Zwar verteilen die Amerikaner viele Lizenzen,
von freiheitlicher
Presse kann aber noch keine Rede sein. Zuletzt kam es zur Schließung der „al-Haussa“-Redaktion. Versuchen die
Amerikaner, kritische Stimmen zu unterbinden?
Armbruster: Dem kann
ich nicht zustimmen. Die Amerikaner verteilen nicht nur Lizenzen an
Zeitungen, die die amerikanische Meinung vertreten. Es gibt sehr viele
Zeitungen im Irak, die publizieren – auch sehr viele parteigebundene
Zeitungen. Ich glaube, das ist ein Prozess, der sich erst mal entwickeln
muss. Aber Sie haben Recht, es ist noch nicht sehr gut um die Pressefreiheit
bestellt. Das Beispiel „al Haussa“ ist nicht sehr glücklich, denn die
Hauszeitung von al-Sadr war eine Hetzzeitschrift, die auch zum bewaffneten
Kampf gegen alles, was nicht auf der Sadr-Linie war, aufgerufen hat.
Unabhängig davon halte ich es für äußerst ungeschickt, was die Amerikaner da
gemacht haben. Mit einer solchen Zeitschrift kann man auch leben, denn sie
wurde nicht so wahnsinnig häufig gelesen.
Was mich bedenklich gestimmt hat im
vergangenen Jahr war, dass die beiden großen arabischen Nachrichtenkanäle
zwei Mal für mehrere Wochen verboten wurden. Nicht von den Amerikanern,
sondern vom Regierungsrat, der von den Amerikanern eingesetzt worden ist. An
dem Verbot beteiligt war jener Regierungsratsprecher, der am ersten
Juli Ministerpräsident sein wird, nämlich
Ijad Allawi.
Das lässt nichts Gutes ahnen für die Pressefreiheit, die nun in der
arabischen Welt überhaupt keine große Tradition hat. Da haben die Amerikaner
sich nicht mit sehr viel Ruhm bekleckert. Ich hoffe immer noch, dass es
genügend Kräfte, besonders in Bagdad, gibt, die dann auch dafür kämpfen,
dass die Pressefreiheit sich weiter entwickeln kann. Es gibt mit Sicherheit
Kräfte, die eine kritische Presse sehr ungern sehen.
Nach den
Veröffentlichungen der Folterbilder im Irak deckte die russische
Journalistin Anna Politkowskaja einen ähnlichen
Folterskandal
in Tschetschenien aus dem Jahr 2000 auf, der in den westlichen
Medien allerdings nie die gleiche Beachtung fand, wie die Vorfälle im Irak. Gibt es in den westlichen Medien derzeit einen anti-amerikanischen Trend?
Sehen Sie als Berichterstatter einer eher „unabhängigen“ Nation sich noch
mehr in der Pflicht, Aufklärungsarbeit zu betreiben?
Armbruster: Ich kann nicht beurteilen,
warum dieser russische Skandal in Tschetschenien so wenig Beachtung fand.
Ich glaube nicht, dass es anti-amerikanisch ist, wenn man über die Fehler
der Amerikaner berichtet. Das tut die amerikanische Presse auch sehr
intensiv. Die
New
York Times, eine auch für mich großartige Zeitung, hat sich in
diesen Wochen bei ihren Lesern dafür entschuldigt, dass sie sehr
pro-amerikanisch und wenig kritisch berichtet hat. Das muss man erst mal fertig bringen. Dann hat sie einen Kurs-Wechsel
eingeleitet. Sie berichtet inzwischen sehr kritisch über das, was im Irak
passiert. Es war ja auch CBS, die den Abu Ghureib Skandal zum ersten mal
publiziert hatte. Die Amerikaner sagen selber, dass sie sehr viele Fehler
gemacht haben. Man muss allerdings auch betonen, wenn man bei dem
Beispiel Abu Ghureib bleibt, dass nicht die Amerikaner die ersten waren, die
dort gefoltert haben. Unter Saddams Zeiten war dies auch ein Foltergefängnis
über Jahrzehnte. Dort wurden auf bestialische Art Menschen ermordet. Diese
Zeit ist trotz dieses Skandals vorbei. Ich weiß, dass man sich mit solchen
Sätzen nicht unbedingt Freunde macht. Aber man darf nicht vergessen: Die
Amerikaner haben Saddam Hussein gestürzt, auch wenn sie es in einem Jahr
nicht geschafft haben, einen wirklich lebensfähigen Staat aufzubauen. Das
muss man kritisieren, dabei das andere allerdings nicht vergessen.
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